Hospitalreif gespart

Senioren werden von der Gesundheitsreform besonders hart getroffen. Um den Arzt bezahlen zu können, sparen sie am Essen

„Wir hatten schon Fälle, wo die Leute fragten, ob ihr Vater ein Medikament wirklich nehmen muss.“

VON ELLEN REGLITZ

Alte Menschen können sich Arztbesuche und Medikamente nicht mehr leisten. Experten befürchten, das bald mehr Leute krankenhausreif gespart sind. Die Gesundheitsrefom trifft Senioren besonders hart, weil sie häufig zwei Voraussetzungen erfüllen, die den Weg zum so genannten Härtefall kennzeichnen: Wer alt ist, benötigt oft kurzfristig ärztliche Hilfe und lebt finanziell am Existenzminimum.

„Unsere Mitarbeiter in der häuslichen Pflege finden bei ihren Patienten zum Teil leere Kühlschränke vor“, beschreibt Hedwig Overhoff vom Caritasverband für die Diözese Münster die Situation vor Ort. „Die Leute haben in der Mitte des Monats manchmal keinen Cent Geld mehr.“ Die Misere der alten Menschen gestaltet sich vielschichtig.

Die mit der Gesundheitsreform Anfang dieses Jahres eingeführte Praxisgebühr müssen Patienten ein Mal im Quartal entrichten. Wird allerdings außerhalb der ärztlichen Dienstzeiten oder am Wochenende ein Arzt benötigt, muss bei jedem Besuch die Praxisgebühr in Höhe von zehn Euro bezahlt werden. Befreien lassen können sich Kranke davon nur, wenn sie eine Notfallbehandlung im Voraus absehen können, zum Beispiel bei einem Verbandswechsel, und ihr Hausarzt sie für das Wochenende an einen Notarzt überweist. „Gerade alte Leute werden aber oft sehr plötzlich krank“, so Overhoff. Dann werden stets zehn Euro Gebühr fällig. Overhoff wünscht sich, dass die Kassenärztliche Vereinigung in Westfalen bald den gleichen Weg beschreitet wie ihr Schwesterverband im Rheinland. Der löste sich von den Vorgaben des Bundesverbandes und berechnet keine zusätzliche Praxisgebühr. „Ansonsten werden bald wohl vermehrt Krankenhausbehandlungen notwendig“, befürchtet Overhoff. Denn wer nicht zum Arzt geht, muss früher oder später stationär behandelt werden.

Alte Menschen, die nur über eine kleine Rente verfügen oder Sozialhilfe empfangen, können sich die zusätzlichen Gebühren nicht leisten. Zwar müssen die Betroffenen nur Zuzahlungen von höchstens zwei Prozent, chronisch Kranke sogar nur in Höhe von einem Prozent ihres Einkommens zahlen. Doch weil der Betrag nicht über das ganze Jahr gestückelt berechnet wird, ballen sich alle Zuzahlungen im ersten Quartal des Jahres, ein dickes finanzielles Polster ist notwendig.

Klaus-Peter Real, Leiter des Kurt-Schumacher-Zentrums der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Essen, macht auf ein weiteres Problem aufmerksam, das besonders Sozialhilfeempfänger unter den Heimbewohnern betrifft: „Bei der Berechung des Zuzahlungsbetrags wird der volle Sozialhilfesatz zu Grunde gelegt“, so Real. Das Taschengeld der Bewohner betrage aber oft nur zwischen 60 und 90 Euro im Monat. Peter Niemann, Referent für Sozialrecht bei der Diakonie Westfalen in Münster, beklagt außerdem, dass einige Leistungen von den Krankenkassen gar nicht mehr übernommen werden. Darunter sind zum Beispiel Brillen für Erwachsene, die keine schweren Sehbeeinträchtigungen haben und nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel. „Diese Sachen müssen jetzt hundertprozentig aus eigener Tasche bezahlt werden“, so Niemann, „egal, ob der Patient das Geld hat oder nicht.“ Heimleiter Real kennt die Resultate aus diesen Neuerungen gut: „Wir hatten hier schon Fälle, wo die Leute fragten, ob ihr Vater ein Medikament wirklich nehmen muss.“