piwik no script img

Hauptsache Dienstleistung

Sehr frei nach Toni Negri: In den Sophiensælen laden „Umherschweifende Produzentinnen“ zum fröhlichen Flexibilisierungsdiskurs. Wie weh die Verhältnisse in Wahrheit tun, erfährt man nicht

Der Künstler als freier Unternehmer muss das eigene Fleischzu Markte tragen

VON CHRISTIANE KÜHL

Dass Arbeitslosigkeit in Deutschland keine Exklusivangelegenheit der Kohlekumpels ist, sondern die Gesamtbevölkerung betrifft, hat sich inzwischen nicht nur herumgesprochen, sondern wird auch in Akademikerkreisen schmerzvoll erfahren. Wer kann, zieht daraus Lehren. Entwickelt Strategien. Flexibilität und Mobilität gehören zu den bekanntesten. Selbstvermarktung und -ausbeutung zu den verbreitetsten.

Vorreiter dieser Entwicklung sind freischaffende Künstler. Tarifverträge sind ihnen unbekannt, Kontakte sichern das Überleben. Die Wirtschaft hat das längst erkannt: Sponsoren weisen gerne darauf hin, dass sie mit der Kunst die Bereitschaft zum Risiko und eine feste Vision verbindet. So kann man es auch sehen. Kulturschaffende dürfen sich also mit Recht als Speerspitze der neuen Bewegung verstehen.

„Umherschweifende Produzentinnen“ heißt ein Theaterprojekt zum Thema, benannt nach einem Buch von Toni Negri, Maurizio Lazaratto und Paolo Virno, das derzeit in den Sophiensælen läuft. Als „Collage über die Selbstzurichtung zum psychischen und physischen Nomadentum“ beschreiben Claudia Hamm und Jelka Plate ihre Inszenierung, die sie mit den Schauspielern Judica Albrecht, Viktor Calero, Lajos Talamonti und Saskia Schwarz entwickelt haben. Helmut Höge stand ihnen als „Informationsmakler“ bei – und schon dieser Begriff zeigt, dass auch der Kunstbetrieb Teil des großen Tauschsystems ist.

Gespielt wird im plastikverschweißten White Cube, der durch vier schmale Counter und eine Palme an die Charterflughafenhalle einer wenig frequentierten Touristeninsel erinnert. Dort stehen die vier Darsteller anfangs lange einsam, stumm und einladend lächelnd; immer in der Hoffnung, das Publikum, die Transitreisenden, mögen bei ihnen eine temporäre Unterkunft, den Animateur oder was auch immer buchen – Hauptsache eine klar definierte Dienstleistung, an deren Ende bezahlt wird. Doch das Publikum schweigt, was die Akteure zu breit gefächerten Angeboten zwingt: „Wir könnten auch für Sie Ihren Einkauf machen“ oder „wenn Sie keine Freunde haben, können wir Freunde für Sie sein“. Der Schauspieler als selbst zentrierte Serviceagentur, die jeder Ich-AG zum Vorbild gereicht: „Du musst dich als unbekannten Markt selbst entdecken und entwickeln, und dann wird man dich eines Tages brauchen, dich und deine Performance und deine Präsenz.“

Stücke zur neuen Arbeitswelt haben seit geraumer Zeit Konjunktur, und auch explizit theoretische Diskurse über die Verhältnisse des intellektuellen Proletariats im Informationszeitalter haben vor allem über die grandiosen Arbeiten von René Pollesch auf der Bühne ihren Platz gefunden. „Umherschweifende Produzentinnen“ dreht die Spirale weiter, indem ganz konkret die eigene Arbeitssituation zum Gegenstand wird. Doch der Mehrwert, der sich aus dieser Situation schöpfen ließe, wird von der Produktion verschenkt. Obwohl sich die Schauspieler mit ihren richtigen Namen ansprechen, wird zu allen Aussagen eine ironische Distanz aufgebaut. Die Berichte von der Selbstveräußerung erhalten etwas Kokettes – dass diese Produktionsverhältnisse weh tun, transportiert sich nicht.

Das Dilemma des Künstlers als freier Unternehmer, der das eigene Fleisch als Kapital und Werkzeug zu Markte tragen muss, verkörpert der Gastauftritt von Jürgen Kuttner am authentischsten. In einem wunderbaren Exkurs macht er das Publikum mit der inoffiziellen Hymne der Dienstleistungsgesellschaft, dem „Kaufland“-Lied bekannt. Geschrieben von einem Aufsichtsratsmitglied der Kaufland-AG, ermahnend und visionär: „Ein bisschen Spaß muss sein, sonst kommen keine Kunden rein“. Das hat direkte Parallelen zur Kunstproduktion, wie Kuttner weiß: „Wenn schon schlecht bezahlt, dann zumindest hoch motiviert.“ Er selbst konnte zur Premiere nur per Videoaufzeichnung erscheinen, weil der hoch motivierte, umherschweifende Produzent zeitgleich in der Volksbühne seine Videoschnipsel verkaufte. So sind die Verhältnisse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen