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: HELMUT HÖGE über Kunst weit weg

„Kunst muss heranwachsende Generationen an die Welt heranführen!“ (N. Krupskaja)

Obwohl musisch erzogen, war das Einzelkind Emil strikt dagegen: nach Wittstock ja, auch gerne mit dem Zug und sogar zweimal umsteigen, aber nicht auf eine Ausstellung. Dort gab es dann weit mehr noch kunstunwilligere Kinder. Zum Glück verbündeten sie sich nicht untereinander, sondern muffelten jeder für sich in dem weitläufigen Wittstocker Heimatmuseum herum – einer alten Burganlage, die heute dem Dreißigjährigen Krieg gewidmet ist: bis hin zu einem Pestfloh unterm Mikroskop. Die aktuelle Ausstellung „Zurück zu den Quellen“ bestritt die Malerin Brigitte Kühlewind-Brennenstuhl. Ein Name wie ein expressionistisches, fast dialektisches Projekt! Die 1949 geborene Grafikerin gehörte zu dem Kreis um die Ostberliner „Kommune“.

Anfang der 70er-Jahre versuchte der Philosoph Gert Grosser einen Teil davon in Form einer „Sommerkommune“ in die Prignitz zu verlagern, wo er einen stark renovierungsbedürftigen Hof, die Kuckucksmühle, erworben hatte und in einer Meliorationsgenossenschaft arbeitete. Wenig später wurde er auf Drängen der Partei Bürgermeister des kleinen Dorfs Grabow. Sein Spruch „Da dreht sich Marx in Grabow um“ war legendär.

Brigitte Kühlewind fing dort 1978 an zu malen – vorerst Landschaften, als Ausblicke durch ein Fenster: von der Kuckucksmühle oder vom Wohnwagen der Melioration aus zum Beispiel. In der Sowjetunion gab es mal eine ganze Diskussion unter Landschaftsmalern, ob man hinter Glas – im Warmen – überhaupt malen dürfe oder nur im Freien – mittendrin quasi. 1985 wird Brigitte Kühlewind wegen „Vorbereitung zur Republikflucht und Kulturgutschmuggel“ inhaftiert. Der norwegische Maler Terja Risberg erreicht nach einiger Zeit über amnesty international ihre Abschiebung in die BRD.

Im Breisgau fängt Kühlewind wieder an zu malen. Sie reist mit Risberg nach Italien. Von da aus in die Schweiz, wo sie den Maler Balthasar Brennenstuhl heiratet. Seit über zehn Jahren lebt sie nun in Südfrankreich. Das Museum von Tours hat Bilder von ihr erworben, ein Schweizer Sammler kauft regelmäßig ihre Werke, sie hat schon in fast allen europäischen Ländern ausgestellt.

Ihre 120 Bilder nun – auf der Wittstocker Ausstellung, die noch bis zum 11.April zu sehen ist – bietet einen „Querschnitt“ aus der Zeit von den ersten bis zu den jüngst entstandenen Bildern. Die Künstlerin malt gerne auf französische und spanische Zeitungen – als Unterlage, 1989 auch einmal auf einer DDR-Zeitung: eine lesende Frau namens Béatrice. 1987 malt sie ein Selbstporträt mit einem verweinten Auge. Sie porträtiert gerne sture Menschen; Freunde oder Nachbarn, die auf etwas beharren, aber auch ausharren. Ihre „Geschwister“ (1989) sind gesichtslos – anonymisiert. In den Jahren danach wird sie immer abstrakter, darauf folgt mehr und mehr Konzeptkunst.

Die frühen Prignitzer Landschaftsmalereien lässt sich das Einzelkind noch gefallen, aber dann wird ihm das Gewühl der Vernissagebesucher zu viel. Nicht nur schiebt sich eine ganze Busladung älterer Menschen durch die Ausstellung über den Dreißigjährigen Krieg, auch Kühlewind-Brennenstuhls Malerei hat eine Menge Interessierte angelockt. Einige, aus Berlin, bereits mit dem Anliegen, ihre Bilder demnächst hier in einem Künstlerhotel auszustellen. Das Büfett ist sofort leer gefegt, die halbtrockenen Weinvorräte des Museums halten aber noch eine Weile.

Die Eltern mit den vor lauter Kunstfeindlichkeit draußen auf den Bänken vorwurfsvoll vor sich hinfrierenden Kindern verlassen als Erste die Ausstellung. Wir müssen uns zum Glück nicht wieder zum Schienenersatzverkehr zurückbemühen, sondern werden von einem dieser Ehepaare mitgenommen – bis vor die Tür in Kreuzberg. „Das war aber doch ein schöner Kunstausflug“, lobt das Einzelkind hernach.