Rot-Rot trotzt dem Terror

Auch nach den Anschlägen in Madrid bleiben SPD und PDS dabei: Die Schleierfahndung wird abgeschafft. Grüne loben Reliberalisierung. CDU sieht Wehrhaftigkeit des Staates gefährdet

VON PLUTONIA PLARRE

Allen gegenteiligen Forderungen von konservativer Seite nach den Bombenanschlägen in Madrid zum Trotz: Die Schleierfahndung in Berlin wird abgeschafft. Das haben SPD, PDS, Grüne und FDP gestern in seltener Einmütigkeit im parlamentarischen Innenausschuss beschlossen. Die 1999 von der großen Koalition in das Landespolizeigesetz Asog eingeführte Regelung erlaubt der Polizei zur Abwehr grenzüberschreitender Kriminalität verdachts- und anlassunabhängige Kontrollen vorzunehmen. Zudem stand gestern unter anderem auch eine Modifizierung der Rasterfahndung (siehe unten) auf dem Programm. Diese war in Berlin zuletzt nach dem 11. September 2001 aktiviert worden, um aus ausländischen Bevölkerungsgruppen islamistische Gewalttäter herauszufiltern. SPD, PDS, Grüne und FDP verständigten sich darauf, die Polizei im Asog auf die Einhaltung aller datenschutzrechtlichen Belange zu verpflichten.

Von der erweiterten Kontrollmöglichkeit durch die Schleierfahndung wurde bis heute nur insgesamt achtmal Gebrauch gemacht, in keinem einzigen Fall mit einschlägigem Erfolg. Dass die rot-rote Koalition dem Antrag der Grünen auf Streichung des Passus im Asog folgen wollte, war bereits am vergangenen Mittwoch durchgesickert (die taz berichtete).

Vor dem Hintergrund der Anschläge in Madrid und angesichts des eigenen Umfragetiefs wäre es einigen in der SPD nach Informationen der taz lieber gewesen, den Tagesordnungspunkt „Änderung des Landespolizeigesetzes“ zu verschieben. Die Schleierfahndung dient zwar ausschließlich dazu, grenzüberschreitende Kriminalität wie Menschen-, Drogen- und Autohandel aufzudecken und ist als Mittel zur Terrorismusbekämpfung völlig untauglich.

Aber kaum war die Nachricht letzte Woche heraus, versuchte die CDU, diese gegen den rot-roten Senat auszuschlachten: mit dem Verzicht auf die Schleierfahndung, so der innenpolitische Sprecher der CDU, Frank Henkel, werde die Wehrhaftigkeit des Staats gegen Terroranschläge eingeschränkt. Bei der Ausschusssitzung modifizierte Henkel seine Kritik. Nun räumte er ein, dass bei der Einführung der Schleierfahndung noch nicht an die Terrorgefahr gedacht worden sei. Das ändere aber nichts daran, dass diese auch ein geeignetes Mittel gegen terroristische Aktionen sein könne.

Die Schleierfahndung mit Terrorismusbekämpfung gleichzusetzen sei nichts anderes als „Kapital aus der Angst der Bevölkerung zu schlagen“, konterte Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Die Polizei habe im Asog ausreichende Rechtsgrundlagen, um tätig zu werden. Dazu brauche es nicht die Schleierfahndung. So gebe es etwa die Möglichkeit, Kontrollstellen in der Stadt einzurichten, auch in öffentlichen Verkehrsmitteln könne die Polizei „umfassend“ kontrollieren. Terror könne aber nie völlig ausgeschlossen werden, wie sich in Israel oder Russland zeige. „Auch nicht durch mehr Polizei.“

Terrorismusbekämpfung sei keine Frage der Zahl der Köpfe, sondern eine Sache von Köpfen. Wichtig sei ein bundesweiter und europaweiter Daten- und Informationsaustausch, so Körting. Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sprach von einer historischen Situation. Erstmals werde das Polizeigesetz „reliberalisiert“ – und das auch noch „gegen die politische Großwetterlage“. Für den „mutigen Schritt“ zolle er der rot-roten Koalition Lob und Anerkennung. Der innenpolitische Sprecher der FDP, Alexander Ritzmann, war derselben Ansicht. „Respekt für den Mut“, so Ritzmann, „nicht der momentanen Stimmung, sondern rationalen Argumenten zu folgen.“

Das letzte Wort ist allerdings erst gesprochen, wenn die Plenarsitzung über die Änderung des Asog abgestimmt hat.