Hotel Presidente: Dementi im Schlafanzug

Mit Rückzugsgerüchten zieht Argentiniens Expräsident Menem kurz vor der Stichwahl die Aufmerksamkeit auf sich

BUENOS AIRES taz ■ Tritt er an oder steigt er aus? Carlos Menem ist ein Meister des Verwirrspiels – und der Selbstinszenierung. Kaum hatte er die erste Runde der argentinischen Präsidentenwahlen am 27. April mit zwei Prozent Vorsprung zu seinem parteiinternen Gegner Néstor Kirchner gewonnen, da kursierten auch schon die ersten Gerüchte: Menem wird im zweiten Wahlgang, der für kommenden Sonntag angesetzt ist, nicht mehr antreten und sich geschlagen geben. Seine Antwort kam schnell und eindeutig: „Nur ein Besoffener kann solchen Unsinn faseln.“

Dabei hat er schlechte Karten. Zwar ging die erste Runde nach Punkten an ihn. Doch brachte er es nur auf rund 24 Prozent der Stimmen. Der zweitplatzierte Kirchner kam am Ende auf 22 Prozent. Aber Kirchner hat mehr Potenzial. Wer Menem wählen wollte, der tat das schon im ersten Wahlgang. Daher sagt der scheidende Präsident Eduardo Duhalde seinem Erzfeind Menem auch einen „satten Knockout“ voraus.

Und Menems Ego, so meinen viele, ließe dies nicht zu. Bislang ist er noch ungeschlagen bei Wahlen zu öffentlichen Ämtern: Dreimal wurde er zum Provinzgouverneur der im Nordosten liegenden Provinz La Rioja gewählt. Zweimal, 1989 und 1995, zum Präsidenten Argentiniens. Diese Serie wollte er dieses Mal um einen neuen Sieg erweitern. Aber es sieht schlecht aus, und alles deutet darauf hin, dass seine Siegesserie ein Ende findet. Ein Rücktritt scheint daher weise, will er ungeschlagen in die Geschichte eingehen. Aber Menem ist inzwischen ein störrischer alter Mann geworden, der auf keinen Berater mehr hört, und er hat sich mit seinen 72 Jahren in den Kopf gesetzt, noch mal Präsident zu werden.

Koste es, was es wolle. Am Dienstagmorgen druckte die Menem-treue Wirtschaftszeitung Ambito Financiero auf ihrer Internetseite ein internes Memo aus der Wahlkampfzentrale Menems, in dem er begründet, warum er nicht mehr antritt. Seine Kandidatur habe Argentinien tief gespalten und er wolle das Land nicht entzweien, schreibt er darin. Mehrere Radiosender meldeten daraufhin den Rücktritt Menems.

Aber dann kam es anders: Vor dem Hotel Presidente in Buenos Aires, wo Menem sich eingemietet hat, marschierten seine Anhänger auf. Aus Megaboxen, die auf einem Lastwagen montiert waren, dröhnte der Wahlkampfschlager: „Carlos, komm zurück!“ Ein enger Vertrauter Menems zeigte sich und sagte, Menem trete sicher zurück. Fernsehstationen meldeten, Menem hätte seine Spots zurückgezogen, Wahlkampftermine wurden abgesagt. Die Nachrichtensendungen schrieben ihn schon ab.

Da streute ein anderer Vertrauter das Gerücht: Menem tritt ganz sicher am Sonntag an. Das Memo, inzwischen in der Hand von allen Zeitungen, sei eine Fälschung. Plötzlich liefen wieder Fernsehspots. Als alle Klarheiten beseitigt waren, trat Menem im Schlafanzug ans Fenster seines Zimmers im Hotel Presidente. Er rief ohne Mikrofon: „Ich werde euch nicht betrügen.“ Damit ist es Menem immerhin gelungen, die Aufmerksamkeit aller Fernsehstationen, Radiosender und Zeitungen während 24 Stunden auf sich zu lenken.

Sehr zum Ärger seines Widersachers Kirchner. Der schickte einen Sprecher raus, um zu sagen, dass es „unverantwortlich“ wäre, wenn Menem nicht mehr antreten würde. Selbst reden mochte er nicht, er fürchtete eine Falle. Überhaupt ist Kirchner nach dem ersten Wahlgang verstummt. Er mied öffentliche Auftritte und Interviews – und spielte schon einmal den Staatsmann. Mit seinem Beraterstab flog er nach Brasilien, um dem Linken Lula die Hand zu schütteln. Nach dem Fototermin ging es dann gleich weiter nach Chile, wo ihn Präsident Ricardo Lagos empfing. Kirchner dachte, wenn er sich nur klein macht, wird er am Sonntag schon Präsident. Aber er hat dabei wohl Menems Fantasie unterschätzt – oder doch nicht? INGO MALCHER