Tausende Leichen exhumiert

In Massengräbern nahe der irakischen Stadt Hilla werden schiitische Opfer des niedergeschlagenen Aufstandes von 1991 vermutet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert die USA: Grabstätten nicht ausreichend geschützt

von BEATE SEEL

In den vier Massengräbern nahe der irakischen Stadt Hilla sind bis gestern tausende von Leichen exhumiert worden. „Nach unseren Erkenntnissen ist dies das größte bislang entdeckte Massengrab im Irak“, sagte US-Hauptmann David Romley am Mittwoch in der Ortschaft Mahawil gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Bislang seien 2.600 skelettierte Leichen geborgen worden, aber es würden bis zu zehntausend Tote in dem Grab vermutet. Die meisten Opfer seien Zivilisten, unter ihnen viele Frauen und Kinder.

Hunderte von Irakern gruben mit Spaten oder ihren bloßen Händen nach ihren vermissten Angehörigen. Einige konnten aufgrund ihrer ausgeblichenen Ausweise identifiziert werden, andere wegen ihrer Kleidungsstücke oder Brillen. Zahlreiche der Opfer wurden durch einen einzelnen Schuss in den Hinterkopf getötet. Doch einige wurden ohne Schussverletzungen, aber mit gefesselten Händen und verbundenen Augen gefunden, wie die Washington Post berichtet. Dabei handele es sich etwa um zwanzig Prozent der bislang Exhumierten. Das deute darauf hin, dass diese Menschen lebendig begraben worden seien.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) warf den USA vor, nicht genügend unternommen zu haben, um die Massengräber zu sichern. „Die US-Regierung hat nicht auf wichtige Informationen über Massengräber im Irak hin gehandelt“, sagte Peter Bouchaert von HRW. „Das Ergebnis ist, dass verzweifelte Familien versuchen, die Stätte aufzugraben. Dabei werden Beweise für forensische Experten zerstört, die auf professionelle Weise die Identität der Opfer ermitteln könnten.“ HRW fordert die Entsendung internationaler Überwacher, um für mögliche Prozesse wichtige Beweise zu sichern.

Bereits vor zehn Tagen hatten Einwohner von Mahawil begonnen, nach ihren Toten zu suchen. Am 3. Mai forderte der Bürgermeister von Hilla laut HRW die Unterstützung von US-Marines an, um das Gelände zu zu schützen. Zwei Tage später berichteten Mitarbeiter des Pentagon-Büros für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe (Orha) nach Washington, dass die Grabstätte nicht genügend geschützt sei. Sie empfahlen die Entsendung eines mobilen forensischen Teams. Am 7. Mai berichtete das Orha, das Massengrab enthalte möglicherweise mehrere tausend Leichen.

Bei den Toten von Mahawil soll es sich um Schiiten handeln, die bei der Niederschlagung eines Aufstandes im Jahre 1991 ums Leben kamen. Nach der Feuerpause im zweiten Golfkrieg am 28. Februar 1991 hatte der damalige US-Präsident George Bush die irakische Bevölkerung aufgerufen, Saddam Hussein zu stürzen. Vier Tage später gab das Weiße Haus bekannt, die USA hätten nicht die Absicht, sich in die „inneren Angelegenheiten des Irak“ einzumischen. Versuche einer Delegation schiitischer Aufständischer, mit den US-Truppen in Verbindung zu treten, scheiterten. Bei einem brutalen Einsatz der irakischen Streitkräfte wurden die aufständischen Städte zurückerobert.

Gegenüber der Zeitung New York Times berichtete jetzt ein Augenzeuge aus Mahawil, was er damals beobachtet hat. Im April 1991, also nach der Niederschlagung des Aufstandes, seien zweimal am Tag Busse und Kleintransporter mit Gefangenen eine Piste entlanggefahren, die zu einer Ziegelei in den Sümpfen führte. Dort seien die Gefangenen gezwungen worden auszusteigen. Dann seien Schüsse zu hören gewesen. Ein Bagger habe die Leichen mit Erde bedeckt. Der Zeuge gibt gegenüber dem Blatt an, er habe etwa 3.000 Tote gezählt.

Ein anderer in der New York Times zitierter Zeuge gehörte damals selbst zu den Gefangenen. Er sei festgenommen worden, weil er während des Aufstandes Verletzte ins Krankenhaus gefahren habe. Mit 400 Leidensgenossen sei er in eine Lagerhalle in Basra gebracht worden. Er hatte Glück: Er entstammte einer wohlhabenden Familie, die etwa eine halbe Million Dollar für seine Freilassung zahlte.

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