berliner szenen Viel jünger als wir

Und schon so alt

Eine Fahrt in der U15, dünne Jungs, bestückt mit Riesenhosen, -hemden, -turnschuhen und -rucksäcken sowie hitzigen Kinderstimmen:

„Ei, bist du krank? Ist doch klar, dass es Frau Lindner nicht akzeptiert, wenn du immer deine Hausaufgaben vergisst.“ – „Patrick, du blickst das nicht. Fast die ganze Fünfte lang hab ich alles korrekt gemacht, und jetzt ein einziges Mal, und dann so ein Ärger, das ist absolut unfair.“ – „Marc, jetzt bleib mal ruhig. Du bist da doch total am Projizieren.“ – (Lauter:) „Wie projizieren? Ei, was soll der Mist? Klar mag die mich nicht! Ne Scheißfrau ist das, sieht man doch sofort!“

„Mann, sie will nur vermeiden, dass aus dir so was wird wie Lena.“ – „Wie, wie Lena? Was soll denn mit Lena sein?“ – „Na die wurde von Frau Lindner nie angegriffen, und jetzt guck sie dir an, die ist total im Arsch, kann noch nicht mal Subjonctif bilden. Und das will die vermeiden, dass aus dir so was wird. Kapierst du nicht?“ – „Bitte beobachte dich jetzt mal selbst beim Sprechen. Müll, alles Müll!“ – „Ei, Marc, Vorsicht. Diese Schule stellt nur gute Lehrer ein, richtig gute. Glaub mir. Du erträgst nur die Differenz nicht von dem, was du denkst und was sie deiner Ansicht nach denkt, und dabei denkt sie in Wirklichkeit gar nicht so anders als du.“ (Brüllt:) „Ach ja?“ Und du kannst wohl in ihr Gehirn reingucken, was? Echt Patrick, du bist ein Arsch, reine Rhetorik fährst du hier.“ – „Du verstehst ihre Haltung nicht, sag ich ja. Alles Konstrukt bei dir! – (Heiser:) „Mann, das hab ich ja schon, da rein, da raus.“ (Er zeigt auf seine Segelohren). „Marc, reflektier dich doch mal. Du glaubst doch nicht etwa im Ernst, dass Frau Lindner nicht zuhört.“ Zuhören beendet, am Kottbusser Tor steigen die Fünftklässler aus.

ELINA KRITZOKAT