Ein demonstratives Studium

Mit öffentlichen Vorlesungen protestieren Studierende und Dozenten der Humboldt-Uni gegendie Sparpläne des Senats. Vor allem die kleinen Fakultäten wagen sich aus dem Elfenbeinturm

von MAXIMILIAN HÄGLER

„Aberravismus! Wir sind vom Weg abgekommen!“, so hat der Pädagoge und Theologe Jan Amos Comenius im Deißigjährigen Krieg seine Mahnungen eingeleitet. Und mit diesem lateinischen Ausruf beginnt auch Professor Rolf Schieder seine etwas ungewöhnliche Theologiestunde. Auf dem Hackeschen Markt hat der Religionswissenschaftler von der Humboldt-Uni seinen blauen Notenständer aufgebaut und auch ein ganz neumodischer Flip-Chart-Halter steht bereit zur Vorlesung über Religionsgeschichte. Etwa zwanzig Studenten hören gespannt zu, wie Schieder fortfährt: „Zwar herrscht in Berlin kein Krieg – aber um das bildungspolitische Profil der Stadt wird zur Zeit erbittert gekämpft.“

Denn darum geht es an diesem Vormittag – nicht so sehr um Comenius und seine Lehren, sondern vor allem um die Sparpläne des Berliner Senats. Das wird im Laufe des Vortrages deutlich, da spricht der Professor von einem „Plädoyer für neues Fachidiotentum“ und „kurzfristigen Nützlichkeitserwägungen“. Aber auch die Hörerschaft macht deutlich, dass die Vorlesung nicht ohne Grund in der Öffentlichkeit durchgeführt wird. Sie halten Plakate mit Sprüchen wie „Ohne Dichter und Denker – nur Richter und Henker“.

Ihre Kommilitonen von der landwirtschaftlich-gärtnerischen Fakultät formulieren etwas humorvoller: „Ohne Mittel, ohne Dach – studieren wir unterm Bundestach“. Auch sie sind nicht auf den Hackeschen Markt gekommen, um die spärlichen Sonnenstrahlen zu genießen, sondern um zu zeigen, dass ihr Studienfach durchaus „produktiv“ ist. Und Torben Reelfs freut sich, dass „die Studenten, die Lehrenden und der Dekan“ an einem Strang ziehen. „Es ist allen klar: Wir sitzen in einem Boot“, ergänzt der 22-jährige Agrarstudent und zeigt auf die große Gruppe unter dem Eschenahorn: „Die Tierzucht ist auch gekommen und ein paar weitere stehen am Neuen Tor.“

Gekommen sind hauptsächlich die kleinen Fachschaften, denn wer sowieso schon wenig hat, der spürt Kürzungen noch viel mehr. Als sich gegen Mittag die Regenfront bedrohlich über Mitte schiebt, schließt Professor Schieder seine Vorlesung. Inmitten eines Gewusels aus Trambahnlärm und Autogehupe stellt er mit einer Seelenruhe fest: „Zum Glück war heute Comenius dran, denn er steht für die universelle Bildung, und das ist wichtig, gerade in diesen finanziellen Notzeiten.“

Weitere Proteste: Heute: ab 9.45 Uhr öffentliche Seminare vor dem Roten Rathaus, am Hackeschen Markt und am Platz vor dem Neuen Tor. Professoren, Studenten und die drei Uni-Präsidenten demonstrieren dann ab 15.30 Uhr vor dem „Palais am Funkturm“ zum Auftakt des dortigen SPD-Parteitages gegen die „ruinöse Wissenschaftspolitik“. Samstag, 14 Uhr Potsdamer Platz: Ver.di-Demo inklusive Studentenblock. Mittwoch, 12 Uhr Potsdamer Platz: Demo „Für eine offene Uni! Kein Sozialabbau!“