„Ich bin Realist und kein Träumer“

Tayfun Keltek ist Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Migrantenvertretungen (LAGA) in Nordrhein-Westfalen. Er fordert seit Jahren Ausländerbeiräte mit Entscheidungsbefugnissen. „Es gibt keinen Weg zurück“

taz: 54 Städte und Gemeinden in NRW diskutieren zurzeit ein neues Modell der kommunalen Migrantenvertretung. Warum?Tayfun Keltek: Der Ausländerbeirat ist nach 50 Jahren Einwanderung kein ausreichend geeignetes Gestaltungsinstrument mehr. Nur weil wir Druck gemacht haben, hat sich das Land endlich bereit erklärt, die Experimentierklausel großzügig auszulegen. Ab jetzt sollen wir bei Haushaltsentscheidungen, die Einwanderer betreffen, nicht nur beraten dürfen. Der neue Integrationsrat soll mit den gleichen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet sein wie ein Ausschuss.

Bei der vergangenen Wahl waren es landesweit nur 15 Prozent, die zur Ausländerbeiratswahl gingen. Woran liegt das?Ich glaube, dass wir durch unsere bisherige rein beratende Funktion die Einwanderer entmutigt haben, sie haben keine Fortschritte gesehen. 1994 lag die Wahlbeteiligung noch bei 24 Prozent. Dazu kommt, dass wir Einbürgerungskampagnen unterstützt und damit sozusagen eigenes Wählerpotenzial vernichtet haben. Wir müssen auf jeden Fall die Öffentlichkeitsarbeit für die nächsten Wahlen verstärken. Dafür sind jetzt auch Veranstaltungen mit Innenminister Fritz Behrens und Sozialministerin Birgit Fischer geplant.

In Remscheid soll ein Ausschuss für Zuwanderungsfragen eingerichtet werden, in dem die Ratsmitglieder mit einer Stimme in der Mehrheit sind.Das halte ich nicht für gut, in einem solchen Modell sind die Migranten nur schmückendes Beiwerk. Außerdem hat dieser Ausschuss auch nicht mehr Rechte als ein Integrationsrat. Remscheid ist übrigens die einzige Stadt, die sich für dieses Modell entschieden hat.

Junge Kritiker wie Miltiadis Oulios von Kanak Attak NRW finden als hier Geborene den Integrationsrat „uncool“.Es ist klar, dass die junge Generation andere Interessen hat, deshalb kämpfen wir auf verschiedenen Ebenen für unsere Rechte. Aber einmal abgesehen davon: Fragen sie mal einen gebürtig deutschen Jugendlichen, ob er es cool findet, sich für eine Gemeinderatswahl aufzustellen...

Dieses neue Modell soll in Nordrhein-Westfalen zunächst ein Experiment sein.Ich bin sicher, dass der Integrationsrat erfolgreicher ist als sein Vorgängermodell und bald in der Gemeindeordnung verankert wird. Es gibt keinen Weg zurück. Für diejenigen, die dabei bleiben, dass nur Migranten die eigenen Themen vertreten können, kann ich nur sagen: Ihr stellt Euch selbst auf ein Abstellgleis. Ich bin Realist und kein Träumer. Der Integrationsprozess kann nur ein gemeinsamer Prozess zwischen Mehrheit und Minderheit sein.

INTERVIEW: N. WIESMANN