Günther und die Wunderlampe

Das Spiel mit optischen Täuschungen ist in einem Nördlinger Museum zu bewundern

NÖRDLINGEN taz ■ Schon der erste Blick zeigt: Dieser Mann hat etwas zu erzählen. Die Augen funkeln, als er die schwere, eisenbeschlagene Holztür des 500 Jahre alten Nördlinger Fachwerkhauses öffnet. Wie in einem Edgar-Wallace-Film knarrt das Tor, das hineinführt in das Ein-Mann-Museum „Augenblick“. Günther Holzhey eilt zum ersten Fensterladen. „Setzen Sie sich auf eine der Bänke, ich komme gleich zu Ihnen.“ Drei weitere Fensterläden klappen zu, und es ist stockdunkel in dem Museum der Illusionen. Nur durch ein kleines Loch in einem der schwarz gestrichenen Fensterläden dringt ein Lichtstrahl.

In wenigen Augenblicken hat sich das Auge an das diffuse Licht gewöhnt. „Schauen Sie auf die Wand, sehen Sie, was sich draußen abspielt?“ Ein Bus fährt durch den Schnee, die Altstadthäuser von Nördlingen stehen, wie der Bus auch, auf dem Kopf. Eine begeh- und besitzbare Camera obscura hat der 66-Jährige eingerichtet. Dass manche Schüler, die hierher kommen, einfach einen Kopfstand machen, erzählt er. Und dass man nach einer halben Stunde gar nicht mehr wahrnimmt, dass die Welt draußen, die man hier drinnen in der Stille beobachten kann, noch immer auf dem Kopf steht. Mit einem Mal taktet das Leben ruhiger. Kein Hauch von Hektik in diesen uralten Gemäuern.

Günther Holzhey erzählt von bewegten Bildern, optischen Täuschungen und vom Jesuitenmönch Athanasius Kircher, der zu Beginn des 17. Jahrhunderts durch den Einsatz einer Laterna magica Lutheraner und Calvinisten in den Schoß der katholischen Kirche zurückholen wollte. Um zu beeindrucken und sicher auch, um eine wenig Angst zu verbreiten, hat er „den Teufel an die Wand gemalt“, sprich Luzifers Bild mittel Laterna magica an die Häusermauern werfen lassen.

Holzhey und seine Frau, Ruth Baumer, ziehen ebenfalls mit der Laterna magica übers Land. Doch nicht, um jemanden zu bekehren, sondern um Freude zu bereiten mit der Illusionsmaschine. Kinder werden von den beiden in eine etwas andere Märchenwelt entführt, Erwachsene bekommen ihre eigenen Märchen. Holzhey erzählt und streicht dabei liebevoll über das alte Mahagoniholz und die glänzenden Messingprojektoren des mächtigen Vorzeit-Diaprojektors.

Als „Nebelbildapparat“, als Wunderlampe oder Zauberlaterne wurde diese Apparatur oft bezeichnet. Wie hätte man auch besser den Begriff „Überblendtechnik“ erklären können? Aufwändig gemalte Glasbilder werden vor die Linsen geschoben. Durch eine ausgeklügelte Mechanik werden mit Hilfe von Effektscheiben die Bilder zum Laufen gebracht.

Bei Holzheys ganz eigener Darbietung des Untergangs der „Titanic“ wird das kleine Museum völlig zu einem Ort des Obskuren. Jemand aus dem Publikum schnappt sich eine alte Messingglocke in der Ecke, ein anderer Besucher greift sich das große Blech daneben – es wird wenige Minuten später zur gewaltig donnernden Gewitter-Sound-Maschine. Und es gibt noch eine ganze Reihe weiterer „Krawallmacher“, die für den Film eingespannt werden.

Ein aufregendes, ausgesprochen spannendes Spiel optischer Täuschungen beginnt – man glaubt, in einer Zeit zu sein, in der die Bilder sehr langsam das Laufen lernten. Schnell vergessen die Besucher sonst gewohnte Dolby-Digital-Effekte sowie digitale Bildqualität und erleben stattdessen die abwechslungsreiche Welt von bunten, einfachen Bildern.

Früher einmal war dieser Mann mit den grauen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren Druckingenieur in Stuttgart. Dorthin hatte es ihn nach seiner Flucht aus der DDR verschlagen. Anfang der Achtzigerjahre hängte er dann seinen erlernten Beruf an den Nagel, um als Gaukler durch Europa zu ziehen. Bis er zumindest teilweise in Nördlingen, im Donau-Ries, sesshaft wurde.

Auf Straßenfesten, bei Firmenfeiern, auf Hochzeiten und sonstigen Veranstaltungen tritt das Duo Holzhey-Baumer auf. Auf Wunsch mit Drehorgel, der fantastischen Laterna magica, mit einem mechanischen Klavier. Gewöhnlich steht das in der dunklen Kammer, der Camera obscura. Und es passt so richtig gut zu der Stimmung in diesem Raum, wenn sich die Tasten des Pianos wie von Geisterhand bewegt heben und senken.

KLAUS WITTMANN