Ein Leben unter Zombies

Ihre Frage: Was spricht da, wenn ich rede? Ihr Ziel: die Konfrontation (mit dem Effizienzdenkenim Neoliberalismus). Die Schriftstellerin Kathrin Röggla schreibt über Arbeits- und Medienjunkies

Wie reden die Leute, wenn sie 16 Stunden als Key Account Manager an der Jobnadel hängen?

VON ALEXANDER HAAS

Was passiert eigentlich, wenn ein Schriftsteller oder eine Schriftstellerin selber zum Manager wird? Bedeutet es das Ende der Literatur? Oder wird es sich doch nicht ereignen, dass die Sphären von Wirtschaft und Literatur auch noch in den Autorenpersonen selbst, und nicht nur im Betrieb Kultur, immer mehr in eins fallen? Wenn man der Schriftstellerin Kathrin Röggla gegenübersitzt, kann einem diese etwas übertriebene Befürchtung deshalb in den Kopf kommen, weil auch sie dem Druck der Produktion, der Flexibilisierung und Dynamisierung der Arbeitsprozesse ausgesetzt scheint. Sie komme gerade aus Innsbruck und müsse sich jetzt erst einmal warm sprechen, sagt sie, weil sie so müde sei. Und außerdem habe sie dauernd diese englischen Vokabeln im Kopf.

So indirekt wiedergegeben, klingen diese Sätze fast wie aus dem Mund einer der Figuren in Rögglas neuem Roman (und Theaterstück) „wir schlafen nicht“. In beiden geht es um die Welt des Managements, genauer: der Unternehmensberater und verwandter Leitberufe der Wirtschaft. Und in beiden reden die Figuren unablässig über ihre Arbeit, und zwar in indirekter Rede und von sich selbst in der dritten Person.

Wir sind in Dortmund, wohin Kathrin Röggla am vergangenen Wochenende zur Premiere eines anderen neuen Stücks reiste, der Mediensatire „sie haben so viel liebe gegeben, herr kinski!“. Gerade sei sie noch in Innsbruck gewesen, erzählt sie und wirkt dabei eigentlich ganz frisch. Nur um die Augen herum haben sich kleine Höhlen geformt. Sie hat viel zu tun momentan, die Leipziger Buchmesse steht an, und nach dem Kinski-Stück, einer Off-Theater-Produktion, kommt Anfang April im Düsseldorfer Schauspielhaus die Theaterfassung von „wir schlafen nicht“ zur Uraufführung.

Für die Bühne schreibt Röggla seit zwei Jahren wieder verstärkt, nachdem sie in dieser Sparte in ihrer Geburtsstadt Salzburg auch angefangen und dann zahlreiche Prosaarbeiten veröffentlicht hat („Irres Wetter“, „really ground zero“). Sie ist keine 35 und eine etablierte Autorin. Auf Genregrenzen legt sie keinen Wert, macht Hörspiele und Netzprojekte. Mit der Wiener Uraufführung von „fake reports“, einem Stück über die mediale Theatralisierung des 11. September in den USA, erfolgte der Wiedereintritt ins Theater, ein neues Stück ist in Arbeit. Den WTC-Anschlag hatte sie als Stipendiatin in New York miterlebt und darüber für die taz Reportagen verfasst.

Kathrin Rögglas Schreiben hat sich schon immer an aktuellen gesellschaftlichen Zuständen, an sozialen Gruppen und deren Verhaltenscodes gerieben. Derzeit sind es die Arbeitsverhältnisse im Neoliberalismus. Ihr Ziel: „die Konfrontation“. In ihren Texten stellt sie unterschiedlichste Oberflächen innerhalb eines überdrehten Stimmenkonzerts gegeneinander und setzt so kritisches Potenzial frei. Themen funktionieren bei ihr nur über bewusst formierte Sprache. Schrill flirren in den Texten ihre dem Alltag abgelauschten und dann forcierten Slangs durch die handlungsarmen Räume. Wie reden die Leute, wenn sie, wie in „wir schlafen nicht“, 16 Stunden am Tag als Key Account Managerin an der Jobnadel hängen? Und vor allem: Was spricht da wirklich, wenn sie reden? Es geht um Rationalisierung und um Macht, sagt Kathrin Röggla.

Für „wir schlafen nicht“ hat die Autorin in rund 30 mehrstündigen Gesprächen in der Branche recherchiert: „Mich interessiert, was mit den Menschen passiert, wenn ihre Rhetoriken ständig dem strategischen Sprechen unterworfen sind, dem Sprechen über Effizienz und Leistungsmaximierung. Wie fühlen sich diese Non-Stop-Arbeitsprozesse konkret für die einzelnen Personen an?“ Die Antwort gibt sie verpackt in einem Lacher: „Wir sprechen hier von Zombies!“ Pause. „Wenn man nur immer diesen Logiken verbunden ist, kann man gar nicht mehr aussteigen. Und das würde ich mit einem vielleicht merkwürdigen Begriff umschreiben: Man wird unmenschlich.“ Sie spricht die einzelnen Silben des letzten Wortes leicht abgesetzt, sodass es klingt wie in Anführungszeichen gesetzt. Der Bereich des Zombiehaften hat sie in an ihrem Thema tatsächlich zunehmend gereizt. Im Stück gibt es eine ominöse „Instanz“, die hier und da in den Regieanweisungen aufgerufen wird. Vielleicht schlägt das Imperium auf der Bühne ja zurück.

Ihr Kinski-Stück zielt nicht auf die Person des toten Stars, sondern auf eine mediale und öffentliche Kommunikationssituation. Der Titel „sie haben so viel liebe gegeben, herr kinski!“ zitiert aus dem Verlauf einer WDR-Talkshow von 1977, in der Kinski sich mit dem Moderator ein 30-minütiges Nichtgespräch lieferte. Die Idee, daraus ein Stück zu entwickeln, hatte Leopold von Verschuer, ein mit Röggla befreundeter Theatermacher aus Köln. Sie schrieb drei neue Rahmenszenen, beließ in der Mitte weitgehend den originalen Talkshowtext. In den neuen Szenen treten eine Redakteurin oder ein Zuschauer auf. Die Autorin fokussiert deren formelhafte Abhängigkeit vom Medium Fernsehen. Kinskis chaotischer Spontan-Sprech wirkt plötzlich geradezu authentisch.

Auch in dem Stück rückt Röggla in bester grotesker österreichischer Tradition die Sprache als Material in den Mittelpunkt, führt Redeweisen durch Verdichtungen ad absurdum, forciert die Entkoppelung des Materials von den Referenten. Darin könnte aber auch eine Gefahr lauern. Was, wenn der Sog der Beschleunigung der Welt den Texten Kathrin Rögglas immer mehr substanzielles Blut aussaugen würde?

Der Roman „wir schlafen nicht“ erscheint am 24. März im Fischer Verlag