BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Welches Land liegt östlich der Oder?

Beim Trivial Pursuit ist man aufgeschmissen, wenn man jahrelang nicht ins kapitalistische Ausland reisen durfte

Bekanntermaßen durfte ich als Ostschnecke jahrelang nicht ins kapitalistische Ausland reisen. Deshalb ist der Nachholbedarf so groß wie die Welt. Nach Spanien, Frankreich, Italien, Mittel- und Südamerika nahm ich mir jetzt die Schweiz vor. Ein Schweizer Freund erweiterte die deutsch-deutsche Vereinigung und lud mich in ein Haus im Maggiatal im Tessin ein.

Ich muss sagen, dass es mit dem Luxus in dem Land mit den gut gefüllten Bankkonten nicht zum Besten bestellt ist. Das Haus, in dem ich Urlaub machte, ist 240 Jahre alt. Statt einer Zentralheizung, wie sie mittlerweile selbst in den Neuen Bundesländern gang und gäbe ist, gab es einen Kamin und einen Specksteinofen. Die Polenta mussten wir in einem Kupferkessel über offenem Feuer bereiten.

„Huärägeil“ nannte das der Schweizer. „Hurengeil“ heißt so viel wie hurengeil, also toll. Nun gut. Es war nur Resturlaub, den ich dort verbrachte. Ich gewöhnte mich ans Feuermachen und erfreute mich an den Bergen, der Sonne, dem Schnee – und der reizenden Gesellschaft des Schweizers, dessen Eltern das Haus gehört. Ich sage nur: Schweizer sind Heizer!

Es hätte also trotz der kargen Umstände ein wunderschöner Urlaub werden können. Wenn nicht die Abende gewesen wären. Nach dem Verzehr von Eselsalami, Kaninchen oder mir fremdem Gemüse wie Mönchsbart haben wir gespielt. Nicht Ringelpietz mit Anfassen oder Mau-Mau, sondern ein Spiel, das es in der DDR nicht gab. „Trivial Pursuit“. Die Ausgabe war nicht ganz so alt wie das Haus, aber immerhin schon etwa zwanzig Jahre.

Der Schweizer Freund hatte einen großen Heimvorteil. Woher soll ich bitte schön Road Runner oder Woddy Woodpacker kennen? Weil ich statt mit Asterix und Obelix mit den Diggedags und Abrafaxen groß geworden bin, weiß ich auch nicht, wer in dem gallischen Dorf Angst hat, dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt. Und die Geografiefragen! Wenn man jahrelang nur in Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei Urlaub gemacht hat und der Schulatlas hauptsächlich aus Sowjetunion-Karten bestand, ist man ganz schön aufgeschmissen.

Die höchsten Berge und längsten Flüsse wachsen und fließen nämlich woanders. Ich konnte nur bei Ostfragen brillieren. „Welches Land liegt östlich der Oder?“ oder „Welcher deutsche Philosoph ist eine Kultfigur in Moskau?“ Da kenne ich mich aus.

Doch die Verliererschmach war groß. Als ich vergangenen Mittwoch wieder zu Hause war, klickte ich auf die Homepage von „Trivial Pursuit“. Da erfuhr ich, dass das Spiel mit seinen „Fragen über die wichtigsten Ereignisse und Personen unserer Zeit“ dieses Jahr 20-jähriges Jubiläum feiert. Woody Woodpacker eine Person der Zeitgeschichte? Hä?

Egal. Zum Jubiläum gibt es etwas ganz Besonders. Die Spieler können ihrem Namen in einer Sonderedition „ein Denkmal setzen“ lassen. „Gibt es in Ihrem Leben ein besonderes Ereignis?“, lautet die alles entscheidende Frage. Wer das bejahen kann, muss mit maximal einhundert Worten dieses Erlebnis beschreiben. Der amerikanische Spielwarenhersteller liefert einige Beispiele, damit man weiß, wo der Hase langläuft. „Vielleicht waren Sie schon einmal in einer bekannten Talkshow, haben für einen guten Zweck etwas Außergewöhnliches getan oder sind mit Ihrem Trabbi als Erster durch das Brandenburger Tor gefahren.“

Einzigartig, dass ich nicht lache. Bei aller Bescheidenheit, da könnte ich allein mit meinen Fragen und Antworten ein komplettes „Trivial Pursuit“-Spiel gestalten. Mit einer „B.B.“-Edition hätte ich mein eigenes Denkmal. So was geht nur im Westen. Toll.

Nur wird es leider nicht dazu kommen. Denn ich habe mir die Teilnahmebedingungen durchgelesen. Darin steht, dass sich der amerikanische Spielwarenhersteller unter anderem vorbehält, eingesandte Werke „zu ändern oder zu löschen“. Ändern? Löschen? Die spinnen wohl! Zudem sollen sich die Teilnehmer verpflichten, anzuerkennen, dass der Spielemacher sich nicht verpflichtet, die Teilnehmer namentlich zu nennen. Trivial ist dieses Spiel nicht. Auch nicht hurengeil. Es ist perfide.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zu Trivial Pursuit? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch GERÜCHTE