Das Straßenbild

Die Reklamerezension. Heute: Es tanzt das ZNS-Ballett

Eine Gehminute vom Nebeneingang des Hauptbahnhofs entfernt, starrte plötzlich die ehemalige Gattin des ehemaligen Kanzlers von einer großen Werbetafel, als lächelte sie durch eine Nebelwand. Es roch, wie es an solchen Orten so riecht, nach den Duftmarken verschiedener Säugetiere. Also eigentlich ein ungastlicher Ort, dachte ich. Aber Hannelore lächelte weiter ihr sphinxhaftes Lächeln, genauso wie sie die sechzehn Jahre ihrer Kanzlergattinnenschaft gelächelt hatte. Alles war genau wie früher – als wäre Hannelore K. durch ihren Freitod nie als unvermutete Mater dolorosa der Aufbaujahre in den medialen Olymp aufgefahren. Ein bleiernes Plakat für eine bleierne Show mit einem bleierenen Foto von einem spießigen Kreisstadtfotografen.

So zückte ich meine Kamera, um dieses Kleinöd festzuhalten. Und da geschah das Besondere: Die Wolken brachen auf, und die Sonne malte einen güldenen Schimmer auf der Schirmherrin Haar. Das ganze Foto flimmerte im Gegenlicht. Und da wurde mir klar, welche Künstler bei diesen „Sternstunden der Musik“ auftreten werden. High-Speed-DJ Dieter Thomas Heck wird eine überirdische Session präsentieren – Elvis Presley wird mit Janis Joplin gemeinsam in ein Mikro hauchen; an der Laute deutlich zu hören Jimi Hendrix. Keith Moon, das Mensch gewordene Tier der Muppets Show, wird dabei sein und der tote Bassist Gary Thain von der Räucherstäbchenrockband Uriah Heep. Sie alle werden mit Hannelore Kohl beim großen Finale auf der Bühne stehen, wenn dann endlich Brian Jones „Mother’s Little Helper“ singt. Ja, das Lied der Rolling Stones, in dem die Nurhausfrau vier bunte Pillen schluckt, um ihr zentrales Nervensystem auszubalancieren, ist gewidmet allen Menschen, die an sich selbst und dieser nach Urin riechenden Welt verunfallten. Jawohl, am Sonntag um 20.15 Uhr, werde ich in der ersten Reihe sitzen, direkt vor der Glotze!

LUTZ DEBUS