Vier Stunden schippen

Vom Sandkasten in den anarchischen Wald, wo Menschen über Tiere triumphieren: Jürgen Goschs Inszenierung der Shakespeare-Komödie „Wie es euch gefällt“ am Schauspielhaus ermüdet durch etliche Längen und erfreut durch Spiellust der Akteure, die sämtlich Mehrfachbesetzungen bewältigen

von KARIN LIEBE

Vier Stunden lang strömt Sand auf die Bühne, ein langer, feiner Streifen, der stetig von der Decke herabrinnt. Eine überdimensionale Sanduhr, die nicht die Minuten anzeigt, sondern das kaum merkliche, unaufhörliche Vergehen der Zeit.

Wenn dann vier Stunden vergangen sind, ist der Sandhügel darunter mal größer, mal kleiner geworden, denn die Zeit, davon lässt Shakespeare in seiner Komödie Wie es euch gefällt den Narren (Jörg Ratjen) erzählen, ist nicht immer gleich. Mal rennt sie davon, dann wieder bleibt sie stehen. Aber eins steht fest: Für jeden ist sie einmal abgelaufen. Auch für diese Inszenierung von Jürgen Gosch, die jetz am Schauspielhaus Premiere hatte.

Doch bis sie ihrem Ende mal entgegenrennt und dann wieder stillzustehen scheint, spielen sich vor melancholischer Vanitas-Kulisse recht handfeste Szenen ab. Erst einmal besteigen alle zehn Darsteller den meterhohen Sandhügel und schaufeln – wie es ihnen gefällt. Eine kleine, wunderbare Charaktereinführung. Maja Schöne stapft als Erste hinauf. Voller Wut und Ungeduld, schnaufend und ächzend sticht sie die Schaufel hinein, schleudert sie wild von sich. Eine Frau voller unterdrückter Wut, die nicht bekommt, was sie will. Sie spielt die Schäferin Phebe, in die sich Schäfer Silvius (Ben Daniel Jöhnk) verliebt, den sie aber nicht wiederliebt, sondern die Herzogstocher Rosalinde (Mira Bartuschek), die wiederum Orlando (Alexander Simon) liebt. Und da wären wir schon mitten drin im Liebeskarussell.

Vier Paare werden zum Schluss gefeiert, doch bis dahin rinnt viel, leider allzu viel Sand auf die Bühne. Myriam Schröder schippt voller Power. Breitbeinig fliegt sie auf den Hügel, eine stampfende Ninjakämpferin. Im Minirock gibt sie später auch überzeugend Charles den Ringer – und das bodenständige Bauernmädchen Audrey. Mehrfachrollen müssen alle Darsteller bewältigen. Samuel Weiss, der recht gezierte Häufchen schippt, muss gar sechs Parts übernehmen, vom 80-jährigen zahnlosen Adam bis zur verdoppelten Celia.

Kurzweilig wird es immer dann, wenn die Verwandlungskünste der Schauspieler und die Phantasie von Bühnen- und Kostümbildner Johannes Schütz gefragt sind. Die Texte jedenfalls werden meist so schnell und laut gebrüllt, dass man kaum folgen kann. Ein ständiges Aus- und Umgeziehe deutet den Ortswechsel vom Hof zum Ardenner Wald an, von der Sklaverei in die Freiheit. In der freien Natur tragen dann alle nur noch Unterwäsche, zwitschern und tirilieren. Ein fröhliches Singen und Küssen, Herzen und Albern beginnt. Freiheit, sei gegrüßt. Doch die Freiheit des einen ist meist auch die Unfreiheit des anderen. Im Wald sind die Tiere die Unterdrückten. Jürgen Gosch und Johannes Schütz finden dafür starke Bilder. Auf einen Hirsch, dargestellt vom nackten Joachim Meyerhoff mit zwei Schaufeln als Geweih, legen gleich alle neune das Gewehr bzw.die Schaufeln, an. Tödlich getroffen, röhrt er kläglich, wird noch mit Füßen getreten und verendet.

Später geht Meyerhoff, jetzt in der Rolle des Schäfers, auch nicht gerade zimperlich mit seiner Herde um. Da wird der Bock (zum Beispiel Devid Striesow) zur Vermehrung der Herde unsanft aufs Schaf (zum Beispiel Wiebke Puls) getrieben und ruckelt penetrant auf ihm herum. Da greift sich der Schäfer Maja Schöne wie ein staksiges Lamm, da schert er den unwilligen Tieren Hemd und Hose vom Leib. Nach vier Stunden allerdings hat man auch die famose Tiermenagerie über. Die Zeit, kostbarstes, unbezahlbares Gut. Man hätte sie besser, man hätte sieauch schlechter verbringen können.

Nächste Vorstellungen: 23. und 31. Mai, 20 Uhr, Deutsches Schauspielhaus