„Ohne internationale Hilfe bleibt die Reform in Palästina auf der Strecke“, sagt Ahmad Tibi

Demokratie und Gewaltverzicht haben es schwer in Palästina – auch weil arabische Staaten Druck auf Arafat ausüben

taz: Herr Tibi, Sie waren Arafats Berater und stehen auch heute noch in enger Verbindung mit der palästinensischen Führung. Warum gibt es keine Reformen in der Verwaltung seitens der palästinensischen Führung?

Ahmad Tibi: Das stimmt so nicht. Es gibt offensichtliche Reformen im Finanzsystem.

Laut internationalem Friedensplan, „Road Map“, hätte aber vor allem der Sicherheitsbereich längst reformiert werden müssen. Warum passiert das nicht?

Die Sicherheitskräfte sind in den letzten drei Jahren von der israelischen Armee völlig zerstört worden. Und nun erwartet man von ihnen zu agieren. Man kann aber aus der Zerstörung heraus nicht agieren. Die Sicherheitsdienste können sich nur langsam wieder selbst aufbauen. Die internationale Gemeinschaft muss der palästinensischen Führung helfen, eine Struktur aufzubauen, damit sie interne Reformen vorantreiben kann.

Der frühere palästinensische Sicherheitschef Mohammed Dahlan meint, dass die Palästinenser durchaus jetzt zu Reformen in der Lage sind. Es hat den Anschein, dass Palästinenserpräsident Jassir Arafat dies verhindert.

Ich unterstütze, weil ich ein Demokrat bin, jede Art interner Reformen in jedem arabischen Land. Aber nicht als externes Diktat. Ich kann den US-Druck für die Schaffung von Demokratie in den arabischen Ländern nicht akzeptieren. Demokratie mit Panzern zu bringen, ohne irgendetwas zum größten diktatorischen Regime zu sagen, nämlich der Besetzung des Westjordanlandes, ist inakzeptabel.

Wenn sich aber ohne externen Druck nichts tut?

Ich bin nicht mit jedem Schritt der palästinensischen Führung zufrieden. Ich kritisiere einige Punkte. Die Gesellschaft sollte mehr Einfluss bekommen, und die juristischen Kräfte sollten mehr Macht übertragen bekommen.

Warum geht die palästinensische Führung nicht gegen den Terror vor?

Die palästinensische Führung wurde vollkommen zerstört und aufgelöst. Ich bin absolut gegen den Terror, der Zivilisten innerhalb Israels trifft. Ich kann das nicht akzeptieren. Es widerspricht vollkommen meinen Werten und den Interessen des palästinensischen Volkes. Ich bin gegen Gewalt – man darf aber nicht nur eine Seite verurteilen.

Wenn Sie und die Palästinenser so, wie sie immer beteuern, gegen den Terror sind, warum werden die Al-Aksa-Brigaden nicht aufgelöst?

Selbst wenn die palästinensische Führung, theoretisch, die Al-Aksa-Brigaden auflösen würde und die Hamas ihren Kampf einstellt – Ariel Scharon würde nichts tun, um die Besatzung zu beenden. Präsident Arafat hat schon einige Male zum Waffenstillstand aufgerufen. Dies wäre wichtig für beide Seiten. Warum sagt das Weiße Haus nichts gegen die Besatzung? Ist unser Blut billiger, sind unsere Kinder weniger wert als andere Kinder? Kann man nur ein Kind sein, wenn man Israeli ist? Kinder zu töten, ist eine Straftat – egal ob die Täter Israelis oder Palästinenser sind.

Mohammed Dahlan fürchtet, dass die Fatah gar keine Mittel hat, um die Al-Aksa-Brigaden aufzulösen, und dass zunächst eine politische Entscheidung von der Führung kommen muss.

Es gibt eine Intervention auf die Fatah. Von außerhalb.

Was bedeutet „außerhalb“?

Andere Staaten in der Region.

Was sind das für „andere Staaten in der Region“?

Dazu möchte ich nichts sagen.

Wollen diese Staaten nicht, dass die Brigaden aufgelöst werden?

Nein. Und Israel hilft dabei, diese Feindseligkeit aufzubauen. Diese Leute von außerhalb sagen: „Wenn die Israelis uns töten, dann müssen wir reagieren.“

Kann Arafat nicht ohne diese „Kräfte“ von außen handeln?

Sie agieren gegen Arafat.

Wie funktioniert das?

Sie unterstützen oppositionelle Gruppen, sogar innerhalb der Fatah und der Al-Aksa-Brigaden. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Wenn das so ist – ist es dann nicht nur logisch, dass sich Israel mit dem Bau von Trennanlagen schützen will?

Nein. Definitiv nicht. Der Sinn der Mauer ist offensichtlich. Es geht um die Konfiszierung von zehntausenden Hektar Land innerhalb des Westjordanlandes. Sie wollen damit Gettos errichten und viele Dörfer und Städte einsperren.

Welches andere Mittel gegen den Terror hat Israel denn dann?

Die Besatzung beenden und einen ernsthaften Friedensprozess vorantreiben. Das ist die einzige Möglichkeit. Es wird keine Stabilität geben, solange die Besatzung andauert.

INTERVIEW: VOLKMAR KABISCH