Baath und die Macht

Im nordirakischen Mossul amtiert ein Stadtrat. Die tatsächlichen Machthaber halten sich im Hintergrund. Und die Baath-Partei von Saddam Hussein verfügt weiterhin über Einfluss

Man muss zwischen guten und schlechten Baathisten unterscheiden. Gut ist, wer nicht bei Morden dabei war

aus Mossul INGA ROGG

Die Statuen von Saddam Hussein sind verschwunden, seine Bildnisse an den öffentlichen Gebäuden zerkratzt oder rußgeschwärzt. In den zerbombten Gebäuden der ehemaligen irakischen Geheimdienste und der Baath-Partei haben alte und neue Parteien in Mossul notdürftig Quartier bezogen. Vor einer Woche wurde in der Stadt am Tigris ein neues Stadtoberhaupt samt Stadtrat gewählt. Seitdem darf sich der frühere General Ghanim al-Basso mit dem Titel Bürgermeister schmücken. Von den ersten „freien Wahlen im Irak“ kann freilich keine Rede sein. Zwar wurde die Bevölkerung dazu aufgerufen, Wahlmänner zu bestimmen. Doch sorgte ein den Amerikanern nahe stehendes Gremium im Hintergrund dafür, dass der Proporz zwischen den verschiedenen ehemaligen Oppositionsparteien sowie den ethnischen und religiösen Gruppen und den Stämmen gewahrt wurde.

Von den 24 Stadträten gehören fünf der kurdischen und je zwei der turkmenischen und der christlichen Minderheit der Stadt an. Nicht vertreten sind indes die Shammar, einer der größten Stämme des Irak, der mit vielen hochrangigen Vertretern in der Armee und den Geheimdiensten eine wichtige Stütze des Regimes war. Bei den Shammar haben auch etliche von Saddams Getreuen sowie seine Frau und beiden Töchter Zuflucht gefunden. Dass der Stamm nicht im „Stadtrat“ vertreten ist, liegt indes nicht an seiner Verbundenheit mit dem gestürzten Diktator, sondern am Widerstand der anderen Gruppen, den Shammar in dem Gremium fünf Sitze einzuräumen.

Seine Partei sei erst gar nicht eingeladen worden, beschwert sich Salim Fawaz, der örtliche Vertreter der Kommunistischen Partei, der ältesten Partei im Irak überhaupt. Dem widerspricht der Pressesprecher der US-Truppen. Die KP habe die Einladung nicht wahrgenommen, sagen an dem Verfahren Beteiligte. Ob sie nun mehr oder weniger freiwillig ausgeschlossen wurde – von den KP-Mitgliedern, die sich in der Niederlassung des staatlichen Gewerkschaftsbundes direkt gegenüber der US-Militärbasis im Ostteil der Stadt eingerichtet haben, ist kein böses Wort über den neuen Stadtrat zu hören. „Nach 35 Jahren Diktatur kann man nicht erwarten, dass sich über Nacht demokratische Strukturen bilden“, sagt Salim Fawaz. Selbst die Tatsache, dass sich unter den „Volksvertretern“ auch enge Parteigänger des alten Regimes befinden, ist für ihn akzeptabel. Man müsse zwischen den guten und den schlechten Baathisten unterscheiden, sagt der Kommunist, der selbst 24 Jahre gegen die Diktatur gekämpft hat. Ein Argument, das in diesen Tag oft zu hören ist. Als guter Baathist gilt, wer nicht persönlich an Morden an Oppositionellen oder anderen Ruchlosigkeiten beteiligt war.

Dem Konsensstreben hat sich fürs Erste auch die Muslimbruderschaft verpflichtet, die in Mossul über eine zahlreiche Anhängerschaft verfügt. Für die Besatzungsmacht haben ihre Anhänger allerdings kein gutes Wort übrig. „Die Amerikaner müssen so schnell wir möglich abziehen“, sagt ihr Vertreter Shukur as-Salim. „Sie müssen den Irak für die Verwüstungen entschädigen und die Verwaltung an die Vereinten Nationen übergeben“, fordert der Anwalt. Darüber hinaus müsse eine islamische Zivilregierung eingesetzt werden. Keine Theokratie, wie sie die Radikalen verlangen, aber auch keine Demokratie nach westlichem Vorbild. Wie diese Regierung aussehen soll, habe er in den letzten 20 Jahren in zahlreichen geheimen Schriften erläutert. „Wäre das herausgekommen, hätte man mich hingerichtet“, sagt er. Die Frage, ob er das alles ohne die amerikanischen Besetzer erzählen könnte, weist er allerdings von sich. Der Krieg gegen Iran, der Überfall auf Kuwait, ja selbst die Giftgaseinsätze gegen die Kurden – immer habe die CIA die Hände im Spiel gehabt. Und auch jetzt gehe es den USA nur um die Ausbreitung ihrer Macht im Nahen Osten.

Wer vorerst die Entscheidungen bestimmt, wird bei einer Pressekonferenz des neuen Stadtoberhaupts klar. Gerüchte über die geplante Währungsreform haben den Markt in Turbulenzen versetzt. Ein Vertreter des US-amerikanischen Finanzministeriums bittet um eine Richtigstellung im Fernsehen. Gesagt, getan, und noch bevor die anwesenden ausländischen Presseleute eine einzige Frage stellen können, ist der gesamte Tross wieder verschwunden.

Vor dem Sitz des neuen Bürgermeisters probt derweil eine Gruppe von Schülern die ersten Schritte in die Demokratie. „Die Prüfungen müssen verschoben werden“, skandieren sie noch etwas unsicher. Wegen des Krieges hätten sie sich nicht genügend darauf vorbereiten können, sagt einer der 16- bis 17-Jährigen. Zudem wollen sie endlich auch an den Errungenschaften der modernen Technik wie Computern und Internet partizipieren.

Einige gehen – von der Anwesenheit der Reporterin offenbar ermutigt – sogar soweit, den Austausch von Lehrern zu fordern, die sich als treue Baath-Parteisoldaten hervortaten. Daran ist derzeit aber nicht zu denken. Von der angeblichen Auflösung der Baath-Partei kann in Mosul ohnehin kaum die Rede sein. Hier beschränkt sie sich darauf, dass die öffentlichen Bediensteten ein Papier unterzeichnen mussten, indem sie die Aufkündigung ihrer Parteiverbindungen erklären. Nur die Polizei werde man einer genauere Prüfung unterziehen, erklärt der amerikanische Militärsprecher. Ansonsten habe man mit der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung alle Hände voll zu tun. Den Kampf um die politische Zukunft müssten ohnehin andere führen.

Mossul war traditionell eine Hochburg der Baath-Partei, von hier hat sie den Kampf um die Macht begonnen und von hier stammen etliche ihrer prominentesten Politiker. An vielen Gebäuden und selbst an Moscheen ist die irakische Flagge angebracht. Darin scheint ein Hauch von Trotz auf. Denn es ist nicht die alte, sondern die 1990 von Saddam eingeführte Flagge. Das Regime ist geschlagen, aber der Kampf mit der Baath-Partei hat in Mossul erst begonnen.