„Ich geh’ nur mit Headset“

Cebit: Aufschwung oder doch nicht? Die Show der Hoffnungen und geplatzten Blasen hat begonnen. Auch wer mit WLAN und Digital Home nichts anfangen kann, findet hier Produkte für eine bessere Welt: etwa das Karaoke-Mikrofon von „Magic Sing“

Aus Hannover Kai Schöneberg

Etwas verschwitzt ist Ortwin Escher nach Monaten der Vorbereitung in Halle 11 angekommen. Der Informatikstudent von der Uni Oldenburg hat eigentlich alles richtig für die Deutschland AG gemacht. Seine Moderationssoftware heißt „Kermod“. Weil das wie der Muppets-Kermit klingt, hat er ein grünes T-Shirt mit Frosch-Logo an und Schälchen mit Frosch-Weingummis bereitgestellt. Es ist Donnerstagmorgen auf der Cebit. Die weltgrößte Computermesse, die Show der Hoffnungen und geplatzten Blasen, hat begonnen – und dann huscht Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlman (SPD) doch am „Kermod“-Stand mitten auf dem Gelände des „Innovationslandes Niedersachsen“ in Halle 11 vorbei. Escher bleibt cool, eigentlich will er an die Firmen ran. Flyer verteilen, Kontakte knüpfen. Heutzutage nicht mehr so einfach. Escher ist gerade 24 – und schon Realist: „Jeder Unternehmenskontakt ist wie ein Lottogewinn.“

Wahn und Hybris

Aufschwung oder doch nicht? Niemand redet heute über Wahn und Hybris der vergangenen Jahre, lieber über WLAN, M-Business, MMS und Digital Home. Bis nächsten Mittwoch machen 6.400 Aussteller aus 71 Ländern auf Optimismus. Ob auch dieses Jahr noch 550.000 Besucher kommen? „Auf jeden Fall gibt es derzeit weniger Pleiten als früher“, sagt Oliver Wächter, Vorsitzender von Bremen Multimedial. Ja, es gebe „Licht am Ende des Tunnels“. Dennoch hat der Verein in den letzten Jahren 50 von einst 175 Mitgliedern verloren. Konsolidierung nennt sich das.

Mausgraue, Marineblaue

Trotz schmerzhafter Branchen-Bremsspuren ist ganz Hannover im Cebit-Ausstand: Der Messe-Schnellweg eine Blechlawine, die Zeitung am Kiosk ausverkauft, Wildfremde fragen verzweifelt nach Zimmern, am Cebit-Eingang schwirren Mausgraue und Marineblaue wie die Bienen in den Korb, Handys am Ohr.

Verona Feldbusch zeigt sich mit einem MP 3-Player von Freund Franjo, Innenminister Otto Schily (SPD) kündigt um die Ecke den digitalen Personalausweis an, für den sich der Kanzler per Digitalkamera fotografieren lässt. Das Foto sieht echt bescheuert aus. Gerhard Schröder, SPD und leicht entgeistert, fragt: „Wer ist das?“ Während dessen gibt es bei Panasonic Stepptanz und den nur zwei zigarettenschachtelngroßen kleinsten Drucker der Welt. T-Mobile bietet als Erster ein UMTS-Handy an.

Überhaupt, die Telekom. Alles ist hier so wie immer. Ein vier Meter großes Magenta-T. Ein T-Fritze erzählt, dass „Multi Channel Banking die Steigerung des Kundenwertes“ sei. Dafür kann niemand die einfachsten Fragen klären: Wer in die Presselounge will, um zu wissen, wieviel Hostessen auf dem fussballfeldgroßen Stand in Halle 26 wuseln, wird zuerst von zwei energischen Herren fast gefilzt – und später vertröstet: „Wir rufen gleich zurück“, erklärt die Tresendame. Danke.

Keine Maus

So wichtig ist das nun auch wieder nicht. Branchengrößen wie Siemens zahlen allein für den Messestand Millionen. „Da brauchen sie nicht zu booten, da brauchen sie keine Maus, sie nehmen einfach die Fernbedienung!“, triumphiert hier der Moderator. Toll – dabei geht es doch nur ums Video-Gucken. Funktioniert doch quasi seit Menschengedenken ohne Maus. Jetzt allerdings kann man sich die „Tagesschau“ von gestern „per Live-Streaming on Demand“ runterladen.

„Ich geh nur mit Headset“, sagt der Moderator der Spielshow bei E-plus. Später springen Raoul, Arash und Kathrin wie weiland bei Michael Schanze und „1,2 oder 3“ auf leuchtende Bodenstreifen, weil sie wissen, wie „der neueste Tarif heißt, mit dem man ab drei Cent pro Minute ins Festnetz gehen kann“.

Girls im Glitzerdress

Weg von den Global Playern wie Vodafone mit seinem Formel-1-Boliden und den Girls im knallroten Glitzerdress, hin zu den vielleicht wirklich wichtigen Dingen des Lebens, wie sie Herr Friday Kim aus Südkorea anzubieten hat: „Magic Sing“, das gigantische neue Karaoke-Mikrofon mit über 800 integrierten Songs. Friday witzelt: „Einfach an den Fernseher anschließen und loslegen, geht nicht nur freitags!“. Nebenan trällert eine Schwarzgelockte „Alice“.

„Die Taschenlampe der Zukunft“ preist Heinz Neumann 50 Meter weiter bei „Zweibrüder Optoelectronics“ an: Das sei eine „Photonenpumpe mit Micro-Chip statt Birne“, was für den „High-End-Verbraucher“. Neumann: „Wir sind halt ein jeckes Unternehmen“. Draußen auf dem Messegelände kündet eine Videoleinwand von weiteren Events, die viel Jeckes versprechen: „Visit Cebit Australia, 4 - 6 May, Sydney“.