Voreilige Entwarnung

Strukturwandel in der Neonaziszene führt beim Hamburger Verfassungsschutz zu falscher Gefahrenanalyse. Reger Zulauf in rechte Subkulturen und neue Aktionsstrategie werden als weniger gefährlich eingestuft als die Mitgliedschaft in der NPD

von ANDREAS SPEIT

Der Hamburger Verfassungsschutz (VS) gibt Entwarnung. „Das personelle Spektrum in der nationalen Szene ist gegenwärtig im Rückgang begriffen“, behauptet Verfassungsschutzchef Heino Vahldieck, zuvor langjähriger CDU-Bürgerschaftsabgeordneter. Die Anzahl der als „rechtsextrem“ eingestuften Personen sei von etwa 850 im Jahr 2001 auf rund 600 Aktivisten im vorigen Jahr gesunken. „Der Rechtsextremismus in der Hansestadt“, sagt Vahldieck, „steckt derzeit in einem Tief.“

Doch genau die Indizien, welche Vahldieck anführt, sollten beunruhigen. Weder Mitgliederverluste bei „rechtsextremen Parteien“ noch Streit bei den „Freien Nationalisten“ bieten Anlass für eine beruhigende Gefahrenanalyse. Denn rekrutierte Jugendliche bringen sich stattdessen in den Subkulturen der „Freien Kameradschaften“ des rechtsextremen „Aktionsbüro Norddeutschland“ um die Neonaziführer Christian Worch und Thomas Wulff ein.

Diese „nationale Bewegung“ zwischen Neonaziaufmärschen, Rechtsrockkonzerten und Fußballpartys ist für die Jugendlichen schlicht attraktiver als rechtes Parteileben. Devotionalien, vertrieben von eigenen Versänden, und Freizeitangebote, veranstaltet von rechten Clubs und Bands, integrieren die Jugendlichen in die Szene und forcieren ihre Politisierung.

Auch interne Streitereien der „Freien Nationalisten“ haben die „nationale Bewegung“ indessen keineswegs gelähmt. Der Streit zwischen Wulff und Worch darüber, ob „Demotourismus“ oder „Basisarbeit“ die richtige Strategie sei (taz berichtete), ist zwar längst in private Denunziationen übergegangen, dennoch marschieren sie zusammen. Allerdings bemüht sich das „Aktionsbüro“ um Wulff, sein Konzept durchzusetzen: Kameraden vor Ort durch Aktionen weiter entwickeln und mittels lokaler Präsenz gesellschaftsfähig erscheinen lassen.

In Bramfeld bemühte sich die Kameradschaft insbesondere während des Irak-Kriegs, die Anwohner über den „US-Globalisierungsterror“ mit Aufmärschen, Infoständen und Flugblattverteilungen zu unterrichten. Das „Aktionsbüro“ organisierte eine Kundgebung in Bramfeld und einen Aufmarsch vor der Bundeswehr-Führungsakademie in Blankenese. Die „Aktionen blieben nahezu unbemerkt“, betont Vahldieck zwar. Allerdings hatten die Rechten die Öffentlichkeit gar nicht gesucht.

Die Aktionen waren ausschließlich intern vorbereitet worden, um den Nachwuchs zu schulen. Über 80 Kameraden folgten den Anweisungen. Auch zum 8. Mai, dem Jahrestag des Endes des Hitler-Faschismus, setzte das Büro auf Binnenwirkung: In Hamburg „säuberten Kameraden“ zum „Tag der Ehre“ zwei Kriegsdenkmäler vom „Schmutz der Ami-Republik“, indem es linke Friedensparolen entfernte. Erst nach dem „Ehrendienst“, um an den „Freiheitskampf“ zu erinnern, machte das Aktionsbüro im Internet die Putztaten öffentlich: Mehr als ein Signal über Strategie und Organisationsgrad der „Freien Nationalisten“ in Hamburg.

Vor vier Wochen noch hatte der Hamburger VS-Vize Manfred Murck (SPD) vor dem Zulauf in rechte „Subkulturen“ ausdrücklich gewarnt. Genau dieser Wandel der Szene scheint seinem Chef Vahldieck nun wenig gefährlich.