: Locker in der Heide
Literatur ohne Kompromisse und Arno Schmidt ohne Staubscheißerei: Ein Buch für den Literaturprofessor Jörg Drews
von JAN SÜSELBECK
Irgendwann muss der Mann entschieden haben abzuheben. War’s in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung, irgendwann Anfang der Siebzigerjahre also, oder schon früher? Vielleicht in jenem denkwürdigen, glücklicherweise fotografisch festgehaltenen Moment Ende der Sechzigerjahre, als er gemeinsam mit Arno Schmidt im Heidepanorama herumstand, die Schnapspulle im Anschlag? Sicher ist: Jörg Drews, nunmehr pensionierter Professor der Universität Bielefeld, ist und bleibt ein Phänomen.
Der mittlerweile zweite Band, der binnen kürzester Frist zu Ehren des Jubilars erschienen ist, bestätigt das: „Überhaupt ist er weit und breit interessiert, kennt Gott und die Welt, ohne Berührungsängste oder einschlägige Zwänge“, schreibt etwa Otto Breicha, der kürzlich verstorbene, langjährige Herausgeber der verdienstvollen österreichischen Zeitschrift Protokolle, über Drews. Der umtriebige Literaturwissenschaftler sei ihm zudem überhaupt niemals „professorenhaft“ begegnet, erinnert sich Breicha.
Auch andere Laudatoren bestätigen diese unprätentiöse, lockere Offenheit des intellektuellen Kommunikators Drews. „Du kannst du auf mich sagen“, soll er 1970 zu dem jungen Kurt Scheel in München gesagt haben, als dieser den Meister in einem von Drews abgehaltenen Arno-Schmidt-Seminar an der dortigen Uni kennen gelernt hatte. „Doch, ich erinnere mich genau an die merkwürdige Formulierung – und damit wurde er also ‚der Jörg‘ und ich ‚der Kutte‘.“
Die Liste der Beiträger, die sich landauf, landab berufen fühlen, dem 1938 in Berlin geborenen Meister ihr Lob zu singen, ist lang: Herbert Achternbusch, Friederike Mayröcker, Paul Wühr, Werner Fritsch, Bernd Rauschenbach und Jörg W. Gronius – alle winden sie Drews literarische, aphoristische oder auch eigenwillige zeichnerische Sonettenkränze. Zwar betonen Einzelne von ihnen zwischendurch ihre aufgeklärte Distanz zu dem muffigen Genre der professoralen Festschrift, doch das hier ist schon eine solche – wenn auch eine ziemlich abwechslungsreiche, die den schnöden akademischen Usancen weitgehend entsagt. Versehen mit einer durchweg wohltuenden Ironie kippt die hier geballt aufgetürmte Portion Ehrerbietung nie ins Peinliche.
Ein Drews-Lesebuch also, das eine schon ältere Polemik des Verlegers Jörg Schröder widerlegt, wonach der Arno-Schmidt-Verehrer Drews zu jener Sphäre grauer, „Staub scheißender“ Feuilleton-Eminenzen gehört habe, die sich Schmidt in seinem „furchtbaren Heidebunker“ seinerzeit kriecherisch genähert hätten, „all diese grauenhaften Polker, Hermeneutiker, Kaffeesatzleser, Dechiffrierer. Was da alles für Leute sich zusammengefunden haben. Alles Klaustrophile“.
In der zweiten Hälfte des Buchs befassen sich dann Kollegen von Drews in zahlreichen literaturwissenschaftliche Aufsätzen nicht etwa nur mit Arno Schmidt, sondern auch mit Goethe, Johann Gottfried Seume, James Joyce und anderen – allesamt Autoren, die Drews von jeher besonders interessiert haben und um deren Erforschung er sich in den letzten Jahrzehnten verdient gemacht hat.
So weiß etwa Henner Löffler in seinen Notizen über den Spaziergänger Joyce, dass die meisten der wirklich innovativen Schriftsteller auffällig manische Spaziergänger waren. Löffler erinnert an Seume, der im Jahre 1802 von Sachsen schlappe 6.000 Kilometer nach Syrakus auf Sizilien wanderte. Aber auch an die ausdauernden Flaneure Charles Dickens, Franz Kafka und Arno Schmidt sowie an den unerschrockenen Schmetterlingsfänger, Fußballtorwart und begeisterten Tennisspieler Vladimir Nabokov.
Josef Huerkamp wiederum, einer der absoluten Rekordhalter in Sachen Buch- und Aufsatzpublikationen über Arno Schmidt, untersucht in seinem Beitrag die Hoppenstedt-Figur aus Schmidts „historischem“ Roman „Das steinerne Herz“. Dr. Hoppenstedt, jene extrem blasse Figur, die im Roman als eine Art Hass-Pappkamerad des Erzählers viermal auftritt, wird zunächst auch von Huerkamp als „komplett und rundherum ridikule Type“ vorgestellt. Hoppenstedt sei dabei im Blick auf den Erzähler als „Projektion seines ressentimentgeladenen Leidens“ lesbar – „wenn schon kein Charakter, so doch glaubwürdig genug, weil Arno Schmidt ihn wohl brauchte – und das nicht nur aus artistischen Gründen“. Der Clou: Die herablassenden Dialoge, die der Protagonist Walter Eggers mit Dr. Hoppenstedt führt, entpuppen sich in Huerkamps Lesart vor dem Hintergrund einer Bemerkung aus den „Berechnungen“ Schmidts als weniger besserwisserische, sondern letzthin ironisch gebrochene Selbstgespräche des Autors.
Ohne Zweifel: Dieses Jörg-Drews-Lesebuch ist zumindest in seiner Vielfältigkeit absolut kompromisslos.
Sabine Kyora, Axel Dunker, Dirk Sangmeister (Hg.): „Literatur ohne Kompromisse. Ein Buch für Jörg Drews“. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2004, 468 Seiten, 24,80 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen