Den Bauch im Griff

Verbesserte Pränataldiagnostik und Kaiserschnitt auf Wunsch: Schwangerschaft und Geburt sind in unserer Kultur inzwischen ganz wesentlich von Technologie geprägt, konstatieren Fachleute

von Ulrike Krahnert

Ein Kind zu bekommen, sollte man meinen, ist immer noch das Natürlichste der Welt. Und in Deutschland scheinbar eine sichere Sache: Sterblichkeitsraten bei Säuglingen und Müttern sind im internationalen Vergleich extrem niedrig, über 90 Prozent aller Schwangerschaften und Geburten verlaufen ohne ernsthafte Komplikationen. Alles wunderbar also für die werdende Mutter?

Mitnichten. Durch die Verbesserung der Pränataldiagnostik ist heutzutage schon der Weg zur Geburt von den Möglichkeiten der medizinischen Vorsorge und den damit verbundenen Entscheidungsnöten geprägt. Welche Untersuchungen soll frau machen lassen? Neben Ultraschall auch Fruchtwasserentnahme und Plazentabiopsie? Was ist, wenn Auffälligkeiten festgestellt werden? Was bedeuten sie? Was sind die Konsequenzen? Das Baby abtreiben oder doch behalten? Wenn alles positiv verläuft, stellt sich die Frage, wie das Kind zur Welt kommen soll: Will die Frau gebären oder sich entbinden lassen? Per natürlicher Geburt zu Hause, im Geburtshaus, in der Klinik oder doch per Wunschsektio, dem Kaiserschnitt auf Bestellung, mit festem Termin?

„Schwangere Frauen sind meiner Erfahrung nach heute wesentlich unsicherer und ängstlicher und lassen viel mehr Intervention zu als noch in den 70er und 80er Jahren“, sagt die Hamburger Hebamme und Medizinethnologin Dr. Angelica Ensel. „Im Zuge der Emanzipation lehnten sich die Frauen damals gegen die medizinisch hochtechnisierten Geburten auf. Sie waren viel kritischer, da wurde über jedes Beruhigungsmittel gestritten.“ Die Hebammen – in Deutschland die gesetzlich zuständigen Geburtshelferinnen – zogen mit, was innerhalb der Kliniken für große Veränderungsprozesse sorgte. Die Stationen wurden wohnlicher, die Väter stärker einbezogen, der Umgang mit den Säuglingen sanfter.

War die Technologie damals besonders während des eigentlichen Geburtsvorgangs präsent, vollzog sich aufgrund der verbesserten Pränataldiagnostik Anfang der Neunziger ein erneuter Wandel. Die „gesamte Schwangerschaft ist in unserer Kultur inzwischen ganz wesentlich von Technologie geprägt“, so Ensel. Anstatt sie als natürlichen Prozess zu sehen, der kompetenter Begleitung und Betreuung bedarf, würden Schwangerschaft und Geburt in der medizinischen Vorsorge zu sehr auf einen Zustand des Risikos und der Gefährdung reduziert, Frauen regelrecht „die Verantwortung für die Qualität ihres Nachwuchses aufgebürdet“. Und die Frauen lassen dies zu: „Vor 30 Jahren hatten sie das Territorium der Geburt ein Stück weit für sich zurückerobert. Heute fordern sie die Pränataldiagnostik selbst ein oder lassen einfach mit sich machen.“

Prägend für die medizinische Geburtshilfe sei heutzutage außerdem die Zunahme von Schadensersatzklagen, wie Gerhard Ortmeyer, Funktionsoberarzt der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin an der Universitätsklinik Eppendorf, bestätigt: „Um Risiken und Klagen zu vermeiden, gleitet man doch eher in die Defensivmedizin ab. Auch deshalb werden mehr Kaiserschnitte indiziert.“

Ein möglicher Grund also für die Verdoppelung der Kaiserschnittrate auf durchschnittlich fast 25 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Für die Kliniken ist diese Geburtsmethode in jedem Fall kontrollier- und planbarer, weniger zeitaufwendig und definitiv lukrativer. Für einen Kaiserschnitt zahlen die Krankenkassen je nach Abrechnungsmodus fast das Doppelte wie für eine herkömmliche Geburt. „Trotzdem sind Geburten per Kaiserschnitt nicht risikoärmer. Die Sterblichkeit ist immer noch höher als bei einer normalen Geburt“, so Ortmeyer. Kein Vorsprung durch Technik also.

Ilse Hörwick, Hebamme im Geburtshaus Hamburg, sieht in dem Anstieg der Kaiserschnittrate und der Zunahme an Wunschsektios nicht nur „eine Kundenorientierung im betriebswirtschaftlichen Kampf der Kliniken um jede einzelne Geburt in Zeiten zurückgehender Geburtenzahlen“. Es sei auch eine Gegenbewegung zur natürlichen Geburt, die manche Frau als Befreiung vom Geburtsschmerz sähe. Ein Trugschluss. „Normalerweise arbeitet die Frau vor der Geburt mit dem Schmerz, der zu Ende ist, wenn das Kind geboren ist und es mit dem Partner begrüßt werden kann“, sagt Hörwick. Beim Kaiserschnitt werde der Schmerz umgekehrt. „Überraschend für viele Frauen beginnt er erst nach der Geburt, was auch den Zugang der Mutter zum Kind behindern kann: In den ersten wichtigen Stunden der Prägung – des Bondingprozesses – ist sie oft zu sehr mit sich selbst beschäftigt, statt offen für ihr Kind zu sein.“ Der Kaiserschnitt sei immer noch ein großer operativer Eingriff mit etlichen Risiken, nach dem die Frau bei möglichen späteren Eingriffen als Risikopatientin gilt.

Vielleicht ist es auch ein Zeichen der Zeit, dass moderne Frauen ihr Leben inklusive Fortpflanzung im Griff haben wollen. Laut Medizinethnologin Ensel sind Schwangerschaft und Geburt jedoch genau das Gegenteil: von Natur aus nicht kontrollierbare körperliche, psychische und soziale Übergangsprozesse in eine andere Lebensphase. Und damit eine gute Vorbereitung auf das ebenso wenig planbare Leben mit dem Baby.