Live und ungeprobt

Das Improvisationstheater gewinnt weltweit immer mehr an Bedeutung und hat sich zur eigenständigen Theaterform gemausert. Ihr Können zeigen Impro-Künstler aus der ganzen Welt beim Festival des Improvisationstheaters 2004 in Berlin. Protokoll eines Besuchs bei den Berliner „Gorillas“

VON VERENA MÖRATH

Drei Männer auf der Bühne, einer hinter dem Piano. Stühle stehen noch da, mehr nicht. An den Tischen im Zuschauerraum des Jazzclubs „Schlot“ in Berlin-Mitte warten vorwiegend Austauschschüler aus Argentinien, Finnland, Österreich und der Schweiz darauf, dass es los geht. „Wie geht es euch denn so?“, fragt einer der Schauspieler das Publikum. „Stetig bergab“, kommt es prompt. Grund: „Sie hat mich verlassen.“ Also Liebeskummer. Dann geht es hin und her zwischen den Improvisationskünstlern Leon Düvel, Michael Wolf und Robert Munziger vom Berliner Improvisationstheater „Die Gorillas“ und dem jungen Publikum. Geredet wird über Liebe, Wein und das Skilaufen, bis daraus ad hoc eine Szene entsteht: Drei Männer auf Stühlen, die nun das Aufgeschnappte in eine Gruppentherapiesitzung verwandeln, um schon in der nächsten Szene auf dem Genfer See zu rudern und über die finnische Kultur zu sinnieren. Die Sketche sind mal kurz, mal lang und entstehen immer zusammen mit den Zuschauern.

„Im Moment sein“, nennt Ramona Rönker, auch Schauspielerin bei den „Gorillas“, die Kunst, sich auf der Bühne fortwährend auf das Improvisieren, auf neue Rollen und das Publikum einzulassen, um gute Geschichten zu erzählen. „Du stehst auf der Bühne und weißt nichts“, beschreibt sie den Beginn einer Aufführung. „Aber dann spielst du Dinge, die du dir vorher niemals hättest ausdenken können.“ So entfalten sich beim „Impro“ überraschende Storys und Sketche, die einmalig und nicht wiederholbar sind, verpackt in die unterschiedlichsten Genres: als Western oder Horror-Film, als Soap-Opera oder Shakespeare-Stück, als Comedy oder Monolog – gesungen, getanzt und gesprochen.

Manchmal entwirft das Publikum ein Bühnenbild, das dann bespielt wird, oder beim Theatersport treten zwei Impro-Gruppen gegeneinander in einem Match an, die Urform des Improvisationstheaters, 1977 etabliert durch den Briten Keith Johnston. Daraus hat sich weltweit eine lebendige Improszene mit einer wachsenden Zahl von Improvisationsgruppen und -schulen entwickelt, die kontinuierlich auf der Bühne experimentieren. Kurzum: Nach 30 Jahren hat sich das Improtheater zur eigenständigen Theaterform gemausert.

Dieses Bühnenspiel mit unbekanntem Ausgang perfektionieren „Die Gorillas“ – zehn professionelle Schauspielerinnen und Schauspielern sowie zwei Musiker-Profis – schon seit sieben Jahren. Damals haben sie sich zusammengetan, „um gemeinsam das Herz ans Improvisationstheater zu verlieren“, wie sie selbst es nennen. Seitdem treten zwischen vier und 12 „Gorillas“ zweimal wöchentlich im Berliner Ratibortheater und jeden Dienstag im Schlot auf und touren in unregelmäßigen Abständen durch Deutschland.

„Bei unserer Premiere 1997 haben wir gebibbert, ob der Saal voll wird“, erinnert sich Ramona Krönke, „heute sind wir immer ausverkauft.“ Längst ist das Ensemble nicht nur in Berlin und Deutschland bekannt, sondern auch zu Gast auf internationalen Festivals. „Die Gorillas“ haben eine Impro-Schule gegründet und weisen mitunter auch Manager in die Kunst des Improvisierens ein. Sie sind Improprofis, aber von Routine wollen sie nichts wissen. „Auch wir selbst lernen nie aus“, erklärt Ensemblemitglied Christoph Jungmann, „die Improvisationskunst ist ein weites Feld, das sich ohne Grenzen weiter entwickeln kann.“ Dennoch beobachtet er skeptisch, dass Improvisationsgruppen allzu oft auf alte Formate vertrauen und nicht über das Niveau des Slapsticks oder der Comedy hinausgehen. „Wir wollen keine Selbstdarstellung und nicht den zotigen Witz, wir wollen Theater spielen und als eigenständiges Genre am Theater wahrgenommen werden.“ Ein mühsamer Prozess. Jungmann erkennt aber eine langsame Wende: Bundesweit würden sich mehr und mehr Stadttheater dem „Impro“ öffnen, um junges Publikum zu gewinnen.

Welche unterhaltsamen Spielarten diese Form der Bühnenkunst entfaltet, soll das 4. Internationale Festival des Improvisationstheaters in Berlin – wie schon die ersten drei Jahre veranstaltet von den „Gorillas“ – ab dem 26. März und zehn Tage lang zeigen. Eingeladen sind zehn Impro-Gruppen aus Belgien, Deutschland, Finnland und Neuseeland, aus Kanada, Österreich und Spanien sowie der Türkei, den USA und den Niederlanden. Mehr als im letzten Jahr wollen sich die Impro-Gruppen mischen und gemeinsam spielen. „Unser Festival ist immer auch die Suche nach einer Kommunikation zwischen den Kulturen“, so Christoph Jungmann. Zwar gäbe es Sprachgrenzen, „aber die wollen wir sprengen“. Zum Beispiel bei dem Programm „Impro hoch 7“ in der Vagantenbühne: Hier werden sieben Spieler aus sieben Ländern in ihrer Muttersprache spielen – und sich trotzdem verstehen.