Im Koksrausch bei Gott

Seit Tagen findet in Berlin ein Spektakel der besonderen Art statt: „JesusHouse“

Wie Gottvater Blitze schleudert Tischler Torsten Wortkaskaden in die Menge

Du bist nicht allein, denn Big Brother Jesus lädt dich in seinen Container ein. Die Kirche hat uns in der jüngsten Zeit mit so einigem belästigt: Im Namen Gottes lockte sie arglose Passanten in die „Bibelbox“, wo sie herausfinden sollten, ob sie eher dem „Petrus-“ oder dem „Paulustyp“ entsprächen – ganz zu Schweigen von den fahrenden Gummi-Gotteshäusern, die rastlos durch die Republik rumpelten und aufgeblasen an allen Ecken und Enden Glauben einforderten. Angesichts solcher Verzweiflungstaten erhärtet sich endgültig der Verdacht, dass der Kirche die Luft ausgeht – umso mehr, wenn man nun in diesen Tagen hilflos der ultimativen Apokalypse der Peinlichkeiten zusehen muss.

„JesusHouse“ heißt das supergeile und obercoole Kirchen-Mega-Ereignis, das Berlin zur Zeit heimsucht. Noch bis zum heutigen Samstag lässt Jesus die Kindlein (Zielgruppe 16- bis 25-Jährige ) zu sich in den „Tränenpalast“ kommen. Wie üblich unsichtbar, empfängt er sie dort als „House-Meister“ – ein Job, der seiner Position als Sohn Gottes eigentlich nicht entspricht.

Je unsichtbarer Jesus aus göttlichen Gründen bleiben muss, desto sichtbarer und hörbarer sind leider die gleichgeschalteten Zombies, die er in seinem Namen auf unschuldige Jugendliche hetzt. Hier stellt sich wieder einmal die Frage: Warum lässt Gott so etwas zu? Warum darf einer – auch, wenn er der Messias persönlich ist – einen Moderator namens Torsten auf die Bühne schicken?

Torsten, den Tischler traf der Götterfunken, als er eines Tages „so vor sich hinhobelte“. Seine Freude war elysisch, denn er wusste plötzlich: „Ja! ich will Evangelist werden. Dann habe ich auch mit Menschen zu tun.“ Unser Pech. Heute schreit und schwitzt sich Torsten, angetan mit einem wichtigtuerischen Callcenter-Headset auf der Bühne in einen Glaubensrausch hinein, in dem er ziemlich lange herumirrt. Torsten arbeitet hart. Schließlich will er ein guter Menschenfischer sein. Wie Gottvater Blitze, schleudert er anbiedernde, Teenie-kompatible Wortkaskaden in die Menge.

Es geht um Handys. Torsten macht den Jugendlichen klar, dass ein Handy, mit dem man nicht telefonieren kann, wertlos sei. Die Jugendlichen widersprechen nicht. Trunken von Erkenntnis torkelt Torsten auf der Bühne herum. Der Weisheit letzter Schluss ist an Erkenntniskraft nicht mehr zu übertreffen: „Genauso wertlos wie ein Handy, mit dem man nicht telefonieren kann, bist du, wenn du nicht zu Gott nach Hause kommst“, donnert Torsten. „Du musst den Weg zu ihm finden!“ Gegen Ende des göttlichen Verkaufsgesprächs hat Torsten den drohenden Unterton nicht mehr ganz im Griff.

Zu fortgeschrittener Stunde will nun endlich eine Dienerin des Herrn zur Sache kommen. Sie ist ebenso cool und locker drauf wie ihr Evangelistenkollege: „Wer möchte auf der Bühne mit mir beten?“, säuselt sie ins Mikrofon. Es will keiner. Das ist nicht fair, schließlich hat die Frau, die sich als „Geschichtenerzählerin“ outet, doch gerade die tolle Story aus Südafrika erzählt. Da fand eine Cathy über ein Passfoto ihrer Mami den Weg aus dem Sündenpfuhl der Großstadt nach Hause, ins einfache afrikanische Landleben zurück. Eine weibliche Variante des „verlorenen Sohnes“ muss es schon sein; schließlich möchte man sich nicht nachsagen lassen, dass Frauen in der Kirche immer nur den Altarschmuck richten dürfen. Man möchte mit der Zeit gehen und – wie die „JesusHouse“- Veranstalter betonen – die Jugendlichen mit „modernsten Eventformen darauf hinweisen, dass Gott in ihrem Leben eine Rolle spielt“. Die Teenies danken es mit Schweißgeruch im mittlerweile völlig überfüllten Saal.

Kein Super-Event ohne Satelliten-Live-Übertragung: Auf über 700 Orte in ganz Europa sollen die Moderatorenkünste der „JesusHouse Staff“ ausstrahlen und 250.000 Jugendliche missionieren. Hier im Tränenpalast bekommen wir einiges zu sehen. In Marburg quetschen sich zehn Youngsters in ein Schaufenster und nennen das „10-days-life- experience“. In christlichen Containern passiert aber nichts, was vor der Hochzeit nicht passieren darf. Lieber liest man sich aus der Bibel vor. RTL ist trotzdem voll des Lobes. Der Sender will den „Kirchen gern dabei helfen, christliche Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft zu verbreiten“.

Ein Höhepunkt des Abends ist der sehr türkisch aussehende Martin. Dieser Martin – „boah! geil ey“ – hat sein Leben auf die Reihe gekriegt. Als armes Findelkind, das in Heimen und Pflegefamilien aufwuchs und sämtliche Jugendhaftanstalten von innen kennt, traf er Gott im Koksrausch. Bei diesem Treffen muss ihm der Herr gründlich den Kopf gewaschen haben. Jedenfalls ist Martin jetzt verheiratet und geht jeden Tag in seinem „Office“ einer geregelten Arbeit nach. Moderatorin Christina blickt ernst, als Martin für seine Sünden um Verzeihung bittet: „Okay, aber jetzt ist ja alles gut. Gott liebt dich – und dich und dich …“ Wer’s glaubt, wird „House-Meister“. AGNES STEINBAUER