Große Themen, kleine Formen

Plastikdinos, Chaosflügel: Die Schaubude bringt das „Theater der Dinge“ nach Berlin –ein junges Genre, bei dem besonders die spielerischen Herangehensweisen überzeugen

Bilder spielen auf Katastrophen an, ohne an konkreter Sinnlichkeit zu verlieren

In der Mitte des kleinen Zelts steht ein Sockel, auf dem eine große, sandgefüllte Schale liegt. Von oben senkt sich ein winziger Fallschirmspringer aus Plastik an einer Schnur hinab. Halb Wüstenstürmer, halb ins Leben geworfener Existenzialist, plumpst das Männchen in den Sand. Xristjin Xhanrezjong, der mongolische Schamane, nimmt es in die Hand und betrachtet es neugierig. Auf seiner Stirn ist ein kleines Lämpchen angebrachtet, das die Umrisse der Plastikfigur als riesigen Schatten auf die Wand des Zelts projiziert. Der Anblick ist komisch und bewahrt doch zugleich eine mystische Dimension. Der Schamane ist ein Komiker, ein kleines Kind, das sich gleich selbstvergessen über die Sandfläche beugt und nach weiteren Figuren sucht.

Das augenzwinkernde Beschwören einer magischen Welt, in der Spieler und Objekte immer zugleich fremd und vertraut sind, ist Objekttheater im besten Sinne. Christian Carrignon, der sich hier als Schamane Xristjin Xhanrezjong präsentiert, ist so etwas wie ein Altmeister des noch recht jungen Genres, das nach wie vor auf der Suche nach einer festen Definition ist: Sein Théâtre de Cuisine, das beim Internationalen Objekttheaterfestival in der Akademie der Künste mit „Die Caverne ist ein Cosmos“ auftritt, gehörte zu den ersten, die in den Gegenständen auf der Bühne nicht mehr nur Theaterrequisiten sehen wollten. Die neue, aus dem Puppentheater hervorgegangene Form, unter anderem von Carrignon in Marseille begründet, hat in den letzten Jahren Eingang in die internationale Theaterszene gefunden. Ihr Grundprinzip ist die Vertauschung der Rollen von Subjekt und Objekt. Ziel ist es, das Verhältnis des Menschen zu der ihn umgebenden Ding-Welt zu hinterfragen. In Carrignons neuer Inszenierung verbirgt sich hinter einer burlesken Fassade ein komplexer Ansatz, der Geschichte auf dem Theater wieder erzählbar machen möchte – nicht irgendeine Geschichte, sondern die ganze Menschheitsgeschichte, vom Urmenschen bis zur jüngsten Geschichte.

Carrignon greift dabei auf Spielzeugfiguren aus Plastik zurück – einen Dinosaurier, ein Mammut, das Schiff des Kolumbus. In der Gegenüberstellung mit der großen Weltgeschichte, die sein Alter Ego Xhanrezjong mal stammelnd-grotesk, mal in biblisch-weihevollem Tonfall vorträgt, rufen sie die kommerziellen Mythen der Spielzeugwelt der Gegenwart als Gegenpol hervor. Erst mit dieser Brechung wird das unzeitgemäße Projekt des Schamanen für den Zuschauer annehmbar: Wir folgen ihm in eine Menschheitsgeschichte, die für einen Moment als Ganzes überschaubar scheint.

Man könnte Carrignon vorwerfen, dass die Aufführung oft nicht über das Komische und Skurrile hinauskommt. Dass hinter der burlesken Fassade aber auch ein Raum für das Tragische bleibt, zeigt sich, als ein kleines Haus in der Mitte der Sandfläche, das einzige Objekt aus Papier, in Brand gesteckt wird und langsam verkohlt. Unaufdringlich spielt das Bild auf die großen Katastrophen der jüngeren Geschichte an, ohne dabei an konkreter Sinnlichkeit zu verlieren.

Was sich bei Carrignon in der Intimität eines Zeltes abspielt, wird in der Aufführung „Les ailes du chaos“ der Compagnie „Au cul du loup“ wieder auf die klassische Bühne gebracht. Wo Carrignon im unprätentiösen Spiel mit den kleinen Dingen das Große der Geschichte anvisiert, versuchen sich die „Chaosflügel“ von Beginn an am großen existenziellen Wurf. Doch gerade an dieser allzu plakativen Bedeutsamkeit scheitert ihr Konzept.

Dabei beginnt die Aufführung mit einem schönen Bild, das die Auflösung der Ordnung in der Objektwelt als lustvollen Akt vorführt: Eine Wand aus Metallplatten, die schräg zur Bühne von der Decke hängt, wird von einer Frau langsam im Kreis gezogen. Zwei Männer treten auf. Nach und nach lösen sie die Wand in ihre Einzelteile auf, setzen die entstehenen Objekte spielerisch ein und nutzen sie zur Produktion von Klängen. Doch schon bald sehen wir kein Theater der Dinge mehr, sondern eines der Symbole. Die Gegenstände werden nicht in ihrer Eigenart erkundet, sondern in einer langen Reihe streng choreografierter Szenen immer neu zu Metaphern aufgeladen.

So führen beide Aufführungen vor Augen, dass das Objekttheater die Auseinandersetzung mit den großen Themen nicht scheut – ein Konzept, das aber nur aufgeht, wenn, wie bei Carrignon, der Vorteil der kleinen Form, der spielerisch-ironische Umgang mit den Objekten, auch wahrgenommen wird. Gelegenheit, zu sehen, wie dies in anderen Fällen gelingt, gibt es noch an den vier Spielstätten des Internationalen Objekttheaterfestivals. Dabei werden auch Gruppen aus anderen europäischen Ländern sowie den USA auftreten.

PATRICK BATARILO

Weitere Vorstellungen im Rahmen des Theaters der Dinge bis zum 22. Mai in der Akademie der Künste, der Kulturbrauerei, den Sophiensælen, der Schaubude