Nicht nur Streber mögen Dichter

Wenn Kinder Fragen zur Literatur stellen, kann das bei manchen Autoren kurzfristig Verwirrung erzeugen. Gestern ging das Kölner Literaturfestival lit.Cologne zu Ende

KÖLN taz ■ In einem Pulk Heranwachsender werde ich am Freitag die Treppen im Museum Ludwig hinauf gedrückt und in den Kinosaal geschubst. Neben mir Karl Hennig, Gesamtschullehrer, der heute mit seiner 7. Klasse gekommen ist. Er nutzt das Literaturfestival lit.Cologne (das gestern zu Ende ging; d. Red.), um seinen Schülern Literatur hautnah zu zeigen. Ob es für die Kids heutzutage noch anderes neben Harry Potter gebe, möchte ich wissen. Unter den Mädchen seien viele Leseratten, meint er, bei den Jungs sei das problematischer, obwohl – eben erst habe ihm ein Schüler sein Leid geklagt: Er hat das Buch zuhause vergessen, aus dem heute gelesen wird. Dabei wollte er es doch von der Autorin signieren lassen.

Die Autorin ist Mirjam Pressler. In deren neuem Buch „Malka Mai“ muss die 7-jährige Malka in der Zeit der Nazi-Besatzung aus Polen fliehen. Ein ernstes Thema, Pressler liefert keinen ausgesprochen kindgerechten Vortrag, und dennoch: Für eine dreiviertel Stunde ist es mucksmäuschen still. Kein Tuscheln, kein Kichern, kein Papierfliegerwerfen – und hier sind nicht nur Streber anwesend. Nach der Lesung die Fragerunde, auch hier aufgewecktes Interesse. „Passiert in dem Buch denn eigentlich überhaupt noch irgendetwas?“, fragt ein Junge, sorgt damit beim Publikum für schallendes Gelächter und bei der Autorin für kurzfristige Irritation. Dabei wollte er doch eigentlich nur wissen, ob es am Ende zu einer Auflösung der hochdramatischen Situation kommt. Pisa und multimediale Reizüberflutung hin oder her – das Lesen hat die Jugend von heute jedenfalls nicht verlernt, und auf den Mund gefallen ist sie erst recht nicht.

Am Samstag in der Königin-Luise-Schule. Die meisten der Anwesenden haben ihre Reifeprüfung bestimmt schon vor mindestens zehn Jahren abgelegt. Axel Hacke, der vielleicht heiß geliebteste Kolumnist der Republik, ist im Haus und hat sein „Deutschlandalbum“ mitgebracht. Anhand menschlicher Einzelfälle und -geschichten entwickelt er ein deutsches Mosaik der Befindlichkeiten: subjektiv, zärtlich, voll trockenen Humors. Es muss also doch nicht immer ganz so schlimm sein, Deutscher zu sein.

Hacke intoniert die Worte so, dass man sie gar nicht falsch verstehen kann. An der Formulierung „einfache Leute“ stört sich ein Mann aus dem Publikum aber doch. Bei wie viel Prozent der hier Anwesenden es sich denn seiner Einschätzung nach um einfache Leute handele, möchte er wissen. Aber gegen Hacke macht man keinen Stich. „100 Prozent“, entgegnet er, „oder sind Sie etwa...?“ Oliver Minck