„Goethe hätte unterschrieben…“

In Kirchhatten, Gemeinde Hatten, gleich neben Oldenburg, soll die Bibliothek in die Grundschule verlegt werden. Das bringt die Literaturfreunde auf die Barrikaden. Nun sieht alles so aus, als gebe es dank der Initiative „Die Bücherwürmer“ den ersten Bürgerentscheid in der Gemeindegeschichte

„In Niedersachsen gab es bislang erst 60 Bürgerbegehren. In Bayern sind es mehr als 1.000“

adu heißt auf Altdeutsch so viel wie „glücklicher Kämpfer“. So verrät es die Tafel neben dem hölzernen Hörnerhelm-Träger im Eingangsbereich des Kirchhatter Rathauses. Einige hundert Meter weiter verbreitet Akkordeonmusik den Geist gut gelaunter Widerständigkeit. Vor dem Willers-Haus – der Fachwerkbau ist eines der Schmuckstücke des Ortes – sammeln sich Menschen aller Altersgruppen, um gemeinsam dem Hatter Bürgermeister auf die Pelle zu rücken. „Wo sind denn deine Töchter?“, forscht eine Mitvierzigerin bei ihrer Bekannten nach. Dabeisein ist Ehrensache.

Der Grund des Widerstands: Die Bibliothek im oberen Stock des Willers-Hauses soll in die örtliche Grundschule verlegt werden. Das würde einen Verlust von gewachsenen Strukturen bedeuten, befürchtet Annette Bachmann von der Initiative „Die Bücherwürmer“. Bachmann ist Mitglied des Literaturkreises, der sich im Willers-Haus trifft. „Das ist der Treffpunkt schlechthin für erwachsene Leser“, schwärmt sie. Eine Anlaufstelle für alle, die gerne bei einem Tässchen Tee über Texte diskutieren. Gemeinsam mit anderen BürgerInnen will sie nun einen Bürgerentscheid auf den Weg bringen – den ersten in der Geschichte der Gemeinde Hatten.

Dazu mussten binnen sechs Monaten 1.000 Unterschriften gegen das Unterfangen gesammelt werden. „Erst hat jeder aus der Initiative alle engagierten Leute angerufen, die er im Bekanntenkreis hatte“, erinnert sich die Bücherwurm-Sprecherin. Ihr Mitstreiter, Michael Stegmann, Apotheker vor Ort, legte die Unterschriftenliste ebenso aus, wie andere Geschäftsleute. Der Slogan: „Goethe hätte unterschrieben...“

„Goethe hätte unterschrieben… Heinrich Willers und Peter Suhrkamp auch“, hieß es weiter auf dem Flugblatt. Letzterer erblickte übrigens in Kirchhatten das Licht der Welt. Allerdings: „hätte“ hilft wenig, wo es um die Erprobung direkter Demokratie geht, ein Gebiet, auf dem ganz Niedersachsen Nachhilfe benötigt, wie Annette Bergmann weiß: „Im ganzen Bundesland gab es bislang erst rund 60 Bürgerbegehren. In Bayern etwa sind es mehr als 1.000. Dabei ist es doch auch in einer funktionierenden Demokratie wichtig, sich einzumischen und bestehende Netzwerke zu nutzen.“ Den Kampf der „Bücherwürmer“ um ihren literarischen Treffpunkt sieht sie auch als Pionierleistung, die weiteren Bürgerbegehren den Weg ebnen soll.

Das Ergebnis ist ermutigend: Das mit roter Schleife geschmückte Bündel, das Bergmann an Bürgermeister Helmut Hinrichs überreicht, enthält 1.451 Unterschriften. Nicht schlecht vor dem Hintergrund, dass in Kirchhatten selbst nur 2.263 BürgerInnen leben – Kirchhatten ist der drittgrößte Ortsteil der Gemeinde Hatten, die insgesamt 13.649 EinwohnerInnen zählt. Da darf man angesichts des Erfolgs schon mal freudig in den eigens vom Café Ansgari bereitgestellten Kuchen beißen: Ein Backkunstwerk in Buchform, garniert mit giftgrünen Würmern.

Dabei gibt es hier niemand, der Gift verspritzt. Jeder kennt jeden, jeder versucht den anderen zu verstehen. Beispiel Hinrichs: Der Bürgermeister lobt das Engagement, hält sich jedoch, was seine eigene Position in der Umzugs-Frage angeht, tunlichst bedeckt. Hinrichs sei SPD-Mitglied, erklärt ein Kirchhatter die Lage. Zwar sei Hinrichs Partei von Anfang an gegen die Verlegung gewesen, die Person Hinrichs sei aber eben auch gelernter Verwaltungsmensch. Nun jongliere er zwischen Parteilinie und Verwaltungsraison. Wohl dem, der so verständnisvolle Bürger regiert.

Vielleicht ist die Stimmung auch deshalb so milde, weil die ganze Angelegenheit an einen Schildbürgerstreich erinnert: Vor zehn Jahren wurde die Bibliothek aus Platzgründen aus eben jener Grundschule ausgelagert, in der die Büchersammlung nun wieder Einzug halten soll. 42.100 Euro soll das Unterfangen kosten. „Das entsprich acht weiteren Jahren Miete im Willers- Haus“, rechnet Annette Bachmann vor.

Auch die Argumente für den Umzug seien überaus fragwürdig. Apotheker Stegmann: „Angeblich ist die Bibliothek nicht behindertengerecht genug. Natürlich kommt man mit einem Rollstuhl nicht durch das Treppenhaus. Hier am Ort gibt es aber nur zwei Rollstuhlfahrer, und der eine liest sowieso nicht.“ Bislang habe immer alles geklappt, und wenn die Bibliotheksleiterin die Lektüre persönlich ins Haus gebracht habe. „Hier läuft das alles ganz unbürokratisch.“ Umso mehr habe man nun Grund, den ersten Erfolg im basisdemokratischen Ringen mit der Obrigkeit zu feiern.

Hadu, der Gehörnte hätte seine Freude an diesen Nachfahren.

Christoph Kutzer