Minimal gerückt

Galerie Ohse zeigt eine Retrospektive der Skulpturen Michael Croissants

Angriffslustig schiebt sich der Schädeleines bulligen Mannes vorwärts

Büsten, Köpfe, Ganzfiguren: Obwohl deutlich als Körperformen zu erkennen, lassen sich Michael Croissants Plastiken gleichzeitig als abstrakt verstehen. Frei von individueller Porträtähnlichkeit sind sie, auch kaum typisierend. Die Galerie Rolf Ohse zeigt jetzt die Werke aus dem Nachlass des 2002 verstorbenen Bildhauers.

Mit dem Ehrgeiz, die heimlichen regionalen Grenzen des Kunstmarkts aufzubrechen, hatte Rolf Ohse die Skulpturen des Wahl-Münchners 1984 erstmals in Bremen gezeigt: Der Beginn einer klassischen Künstler-Galeristen-Freundschaft.

Nach dem Tode Croissants durfte Ohse deshalb vor der Auflösung des Ateliers die Stücke für eine erste Retrospektive zusammenstellen.

Croissant, so berichtet Rolf Ohse, „hat nie mit einem Modell gearbeitet“. Eher hätten ihn Bewegungen, Gesten und Momenteindrücke inspiriert.

Extrem sparsam sind dabei seine Mittel: eine schräge Achse, ein verschobener Schwerpunkt, eine Drehung. Angriffslustig schiebt sich der Schädel eines bulligen Mannes vorwärts. Doch betrachtet man die Plastik von vorne, scheint der Vorwärtsdrang plötzlich gestoppt: Frappierende Wirkung einer ganz leichten seitlichen Neigung des wuchtig-breiten Kopf-Keils.

Von diesen „aggressiven Formen“ habe sich Croissant „im Alter gelöst“, so Ohses Erinnerung. Die kantigen Skulpturen hätten „etwas wie Lieblichkeit“ entwickelt: Ein schlanker Kopf ist mädchenhaft geneigt. Wendet sich die Figur zu oder ab? Eine anmutige Drehung spielt mit der Wahrnehmung. Noch deutlicher stellt sich die Wirkung der minimalen Rückungen in den Collagen und Kreidezeichnungen ein. Die wollte der Künstler nicht als Vorstudien verstanden wissen, sondern als eigenständige Werke mit ähnlichen Mitteln.

Die Bedeutung Croissants? Rolf Ohse glaubt daran, dass er sich einen festeren Platz in der Kunstszene erobert habe, als manch schillernder Kollege: „Ob Baselitz bleiben wird, weiß man nicht.“

Eigene Wege ist Croissant jedenfalls auch gegangen. Seine späten, charakteristischen Bronzeskulpturen hat er nicht gegossen, sondern aus flachen Blechen geschweißt: Jedes dieser Werke ist ein Einzelstück. Alle jedoch wirken sie wie ein Kommentar des perspektivischen Sehens: Nur jeweils ein Blickwinkel lässt eine menschliche Figur erkennen, ändert man den Standort, so sieht man eine abstrakte Form: einen Keil, einen Halbkreis.

Viermal im Laufe ihrer 20-jährigen Freundschaft hat Ohse Michael Croissants Werke nach Bremen geholt. Allmählich, so der Galerist, etabliere sich eine kleine Sammlergemeinde im Norden. Skulpturen hätten es allerdings auf dem Kunstmarkt schwer. Denn, so Ohse, „wer mit einer Skulptur lebt, muss sich auf eine Person mehr im Raum einstellen.“

Annedore Beelte

Galerie Rolf Ohse, Contrescarpe 36. Täglich außer sonntags 10 bis 13 Uhr, montags bis freitags auch 15 bis 18.30 Uhr. Bis 22. Mai