Viel sagende Schnappschüsse

Eine Ausstellung in einer Marzahner Hauptschule dokumentiert Flüchtlingsalltag in Berlin. Das Besondere: Die Familien fotografierten sich selbst. Die Bilder sind persönlich – und frei von Klischees

VON CHRISTIAN VATTER

Auf einem Schwarzweißfoto sieht man eine Familie beim Teetrinken. Ein wenig improvisiert sieht alles aus: Die Kinder und der Vater sitzen auf dem Boden, die Mutter auf einem Bett mit dem Kuchenteller in der Hand. Ein Kind trinkt gerade, eines lächelt, die restliche Familie schaut in die Kamera, als ob das Foto spontan geknipst wurde.

Ein Familienschnappschuss, denkt man. Das Bild war aber geplant: Es ist eine kurdische Familie in einem Flüchtlingsheim. Das Foto ist zu sehen in der Ausstellung „Flüchtlingsalltag in Berlin“, die man zur Zeit in der Karl-Ferdinand-Braun-Oberschule in Marzahn sehen kann.

Die Idee dazu hatte der Fotograf Paul Gross. Er hat 26 Flüchtlingen aus elf verschiedenen Ländern eine Kleinbildkamera in die Hand gedrückt. Sie sollten selbst ihren Alltag in Berlin fotografieren. „Hätte ich als fremde Person fotografiert, hätte ich nie dieses Ergebnis gehabt“, sagt Gross. Gerade bei Flüchtlingen sei es schwer, Kontakt zu bekommen, da sie oft sehr kritisch seien. Sie hätten Angst, dass Bilder bei Behörden landen.

Um den Kontakt aufzubauen, wandte sich Gross an den Flüchtlingsrat Berlin, und der vermittelte. Erstaunlich selten zeigen die Fotos das, was man sich unter „Flüchtlingsalltag“ gemeinhin vorstellt: Ein Mann in der Abschiebehaft, oder Wartende in der Ausländerbehörde. Menschen fotografieren sich eben lieber bei angenehmen Anlässen, so auch hier: Ein Mann sitzt mit seinem Kind zusammen. Ein anderes Bild sieht nach einem Ausflug mit Freunden aus. Viele haben ihre Familie fotografiert, sie lachen in die Kamera.

„Das ist so gewollt“, sagt Jens-Uwe Thomas vom Flüchtlingsrat. Er hofft, dass das die BetrachterInnen anspricht: „Viele der Bilder könnten auch von den Schülern selbst gemacht sein, die sich hier die Bilder ansehen können.“ Die Fotos gibt es seit 2002, sie wurden bereits an verschiedenen Orten gezeigt. Jetzt stehen sie aber in einer Hauptschule, und gleichzeitig gibt es Projekttage gegen Rassismus. Die Schüler sollen nicht nur über die Info-Tafeln neben den Bildern etwas lernen: Der Flüchtlingsrat arbeitet dafür mit Sufian Weise zusammen, der aus Äthiopien stammt. Er bietet ein Toleranztraining für Schulen an – so jetzt auch in der Karl-Ferdinand-Braun-Oberschule.

Dabei soll nicht nur über Migration geredet werden: Rollenspiele und afrikanische Kultur stehen auch auf dem Programm. Und er trainiert nicht nur mit Schülern, sondern auch mit den Lehrern. „Das größte Problem ist die Unwissenheit – bei beiden“, erzählt er.

Sieben weitere Schulen haben schon ihren Besuch angekündigt: Sie kommen zur Ausstellung und zum Diskutieren. Marlene, Zehntklässlerin auf der Karl-Ferdinand-Braun-Schule, findet nicht nur die Bilder gut. Sie interessiert sich besonders für die Infotafeln: „Ich wusste nicht, dass die Flüchtlinge so wenig Geld kriegen. Ich dachte, die bekämen viel mehr.“ Ihr Klassenkamerad Matthias fügt hinzu: „Ich wusste nicht, dass es so viele von denen hier im Bezirk gibt.“ Zwei andere Schülerinnen gehen nur schnell durch und lachen manchmal. Sie könnten nicht viel damit anfangen, sagen sie.

Wer mag, kann sich die Fotos bis Freitag in der Karl-Ferdinand-Braun-Oberschule, Golliner Str. 2, ansehen – nur während der Unterrichtszeit natürlich