Demokratisierung auf korrupter Basis

In Indonesien ist fünf Jahre nach dem Sturz des Diktators Suharto der Reformeifer großer Ernüchterung gewichen

BERLIN taz ■ Fünf Jahre und drei Präsidenten nach dem Sturz des Diktators Suharto herrscht Ernüchterung in Indonesien. Zwar herrscht außer in Aceh und Westpapua keine Angst mehr vor willkürlichen Verhaftungen, ist die Pressezensur aufgehoben, gilt Versammlungsfreiheit und hat das Parlament mehr Rechte gegenüber dem Präsidenten, der 2004 erstmals direkt vom Volk gewählt werden soll. Doch die Bestechlichkeit von Politikern, Juristen und Beamten ist ein Erbe, dem neue Gesetze und Kommissionen bislang kaum etwas anhaben konnten.

„Wir brauchen eine Kriegserklärung gegen die Korruption“, sagt Franz Magnis-Suseno zur taz. Die Stimme des seit vierzig Jahren in Indonesien lebenden deutschen Philosophieprofessors wird bis in Präsidentenkreise geachtet. Indonesien habe keine politische Kultur, beklagt Magnis-Suseno, „kein Wunder, dass die Bevölkerung weder Politikern noch Richtern vertraut“.

Der Skandal um Parlamentspräsident Akbar Tandjung zeigt dies. Der Chef von Suhartos Golkar-Partei wurde im Oktober 2002 wegen Veruntreuung von 4,5 Millionen Dollar zu drei Jahren Haft verurteilt. Doch er ist nach wie vor frei, amtiert weiter und liebäugelt gar mit einer Präsidentschaftskandidatur.

„Uninspirierend“ nennt der australische Indonesien-Experte Harold Crouch die Politik der drei Regierungen, die auf Suharto folgten. Präsidentin Megawati Sukarnoputri glänze nur „mit banalen Statements“ und überlasse das Regieren meist ihren Ministern. Er habe von ihr allerdings auch „nicht den großen Reformschub erwartet“, so Crouch. Dafür habe sie gewisse Stabilität gebracht: 3 Prozent Wirtschaftswachstum bei unter 10 Prozent Inflation. Allerdings stieg laut Weltbank die Zahl der Indonesier, die unter der Armutsgrenze leben, letztes Jahr wieder an.

Beobachter beklagen, dass die vor zwei Jahren den 32 Provinzen des Landes zugesprochene Autonomie die Korruption gefördert habe. Unabhängigkeitsbestrebungen in Aceh oder Westpapua ließen sich damit ohnehin nicht eindämmen. Da nun Entscheidungen über Budgets sowie Bergbau- und Holzschlagskonzessionen von den Provinzgouverneuren gefällt werden, ist damit auch die Korruption dezentralisiert. Eine Folge: Etwa 70 Prozent des Holzeinschlags in Indonesiens artenreichen Regenwäldern erfolgt illegal.

Während es in Jakarta an Kontrolle der Institutionen zum Beispiel durch ein Verfassungsgericht mangelt, fehlen auf Provinzebene Hüter der jungen Demokratie, die den Mächtigen auf die Finger schauen. Die Mittelschicht besteht hauptsächlich aus Beamten, die an Partizipation nicht wirklich interessiert sind. Die Studenten der Hauptstadt reden dieser Tage wieder von Revolution. Am heutigen fünften Jahrestag des Suharto-Sturzes wollen mehrere tausend in Jakarta dem Parlament Forderungen übergeben: Korrupte sollen verhaftet, Preise gesenkt, Löhne erhöht und Bildung bezahlbar werden.

Im Online-Forum der Zeitung Media Indonesia schreibt ein Student, das ewige Demonstrieren bringe nichts. Ein anderer verweist auf Straßenhändler, Garküchenbetreiber und Gemüsefrauen: „Die sagen, unter Suharto waren wenigstens die Preise stabil. Und die sind die Mehrheit.“ Der Verweis auf die „sicheren“ Zeiten unter Suharto ist heute oft zu hören. Es ist eine Steilvorlage für das Militär, das dem Diktator drei Jahrzehnte die Macht sicherte. Dank der Bomben von Bali bekam es per Antiterrorgesetz wieder ein Stück der alten Macht zurück. Es ist noch immer ein „Staat im Staate“ und weiter in Drogenhandel und Casinos verwickelt.

Die Interessen der Generäle sind mit den blutigen Regionalkonflikten verbunden. In Aceh verdienen Militärs und Separatisten gleichermaßen am Waffenschmuggel und haben wenig Interesse an friedlichen Lösungen. In Westpapua zahlen ausländische Holzfirmen und Bergbaukonzerne Schutzgelder, um mit militärischer Hilfe Einheimischen Land wegzunehmen.

Das Unheil an der Wurzel zu packen hieße auch, vergangenes Unrecht zu bestrafen. Doch das Tribunal zur Aufarbeitung der Osttimor-Massaker 1999 sprach zahlreiche Verantwortliche frei und verhöhnte die Opfer. „Wenn dieses Tribunal nicht sein Maximum ausschöpft,um Recht zu sprechen“, sagt der bekannte Menschenrechtsaktivist Munir, „verliert jede Justizreform ihre Glaubwürdigkeit.“ ANETT KELLER