Nitrofen ohne strafrechtliche Nebenwirkung

Ein Jahr nach dem Skandal ist noch kein Verantwortlicher gefunden. Dabei gibt es Beweise für bewusste Vertuschung

BERLIN taz ■ Der 21. Mai vor einem Jahr: Zum ersten Mal taucht im Bundesagrarministerium der Begriff Nitrofen auf. Drei Tage später wird Niedersachsen eingeschaltet, ein weiterer Tag danach das EU-Schnellwarnsystem. Was folgt, sind wochenlange Unsicherheit bei Verbrauchern, fieberhafte Spurensuche, Bibbern in der Ökobranche. Was nicht folgte, war die strafrechtliche Aufarbeitung des Nitrofen-Skandals. Niemand ist bislang zur Verantwortung gezogen worden.

„Wir warten auf Testergebnisse“, sagt Rainer Moser, Leitender Oberstaatsanwalt in Neubrandenburg. Dort läuft das einzige noch anhängige Verfahren – alle anderen wurden eingestellt. Auch in Neubrandenburg könnte das so kommen: In der Malchiner Halle, in der das Getreide verseucht wurde, laufen derzeit Versuchsreihen. Es geht um die Frage, ob die Lagerung tatsächlich eine gesundheitsgefährdende Verseuchung hervorrufen konnte. „Diese wäre strafrechtlich relevant“, so Moser. Übersetzt: Ist die Konzentration am Versuchsende nicht groß genug, wird niemand belangt.

„Es ist von vornherein gegen die Falschen ermittelt worden“, sagt Öko-Landwirtin Anna-Katharina Hett-Meyer aus dem Landkreis Diepholz. Ihr Hof war damals fünf Wochen gesperrt – fünf Wochen Produktionsausfall. „Bei uns wurde kein Nitrofen nachgewiesen. Deshalb haben wir von der Versicherung nichts bekommen.“ Kein Nitrofen ist kein Versicherungsfall. Dabei hätten allein die Tests das Doppelte gekostet, was die getesteten Hühner betriebswirtschaftlich wert seien. „Die großen Futtermittelhändler, die Schuld waren, haben natürlich Versicherung bekommen.“ Deshalb will Hett-Meyer klagen. Kein Einzelfall. Weil außergerichtlich Schadensersatzansprüche nicht geregelt würden, bereitet etwa der Freiburger Rechtsanwalt Hanspeter Schmidt eine Sammelklage vor.

„Künasts Ministerium hat zu wenig getan“, kritisiert Matthias Wolfschmidt von der Verbraucherorganisation Foodwatch. Er sieht genügend strafrechtlich relevante Ansatzpunkte. Wolfschmidt zitiert etwa ein Gutachten zur Schadensbegrenzung beim niedersächsischen Futterlieferanten GS Agri: „Die Untersuchungen belegen eine Kontamination bei Öko-Putenfleisch mit Nitrofen. Neben Nitrofen sind … auch DDT, Lindan, Methoxychlor und Simazin nachweisbar.“ Statt die Ergebnisse von Anfang April 2002 zu melden, schlugen die Gutachter vor, das belastete Material unterzumischen, um den wirtschaftlichen Schaden zu minimieren. Wolfschmidt: „Das ist strafrelevant.“

Das Bundesverbraucherministerium weist diese Vorwürfe zurück. „Als Konsequenz haben wir etwa das Futtermittelgesetz verschärft, die Meldepflichten erweitert, den Verbraucherschutz neu organisiert“, so Sprecherin Ursula Horzetzky. Man sei ein Ministerium, keine Ermittlungsbehörde. NICK REIMER