Zwei Stunden gefühlter Frontalunterricht

Gewerkschaften und Sozialverbände planen eine Großdemonstration gegen Sozialabbau – mit regen Zulauf. Die Bremer Einstimmung darauf verlief hingegen trist. Schimpfworte des Abends: „Agenda 2010“, dicht gefolgt von „Gesundheitsreform“

Bremen taz ■ „Am 3. April ist ein kleiner Volksaufstand geplant.“ Dietmar Hexel will Aufbruchstimmung verbreiten im Bremer Konsul-Hackfeld Haus. So zumindest stellt es sich der gastgebende Regionalverband des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) an diesem Dienstagabend vor. Es soll die große Einstimmung sein auf den europaweiten Aktionstag „Aufstehn, damit es endlich besser wird“, bei dem gegen neoliberalen Auswüchse protestiert werden soll. Doch der kämpferische Beginn der Rede Hexels, immerhin ein Mann aus dem DGB-Bundesvorstand, verpufft rechts reaktionslos in spärlich besetzten Reihen.

Tristesse statt Proteststimmung – ein Schicksal, dass alle Beiträge an diesem Abend ereilt. Dabei war alles für eine gelungenen Demo-Auftakt vorbereitet. Tausende von Flugblättern seien für die Veranstaltung gedruckt worden, sagt die Bremer DGB-Chefin Helga Ziegert, die moderiert. Am Eingang liegt Traubenzucker bereit, um den Kreislauf auf Touren zu bringen, eine Schülerjazzband spielt beschwingte Musik. Einlass ist ab 17.30 Uhr, begonnen werden soll um 18 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt hat sich der Saal jedoch erst zu einem Drittel gefüllt. Die Schülerband spielt also Zugaben – in der Hoffnung auf Nachzügler. Vergebens. „Der Saal ist ja schön, aber voll müsste er sein“, grantelt eine Zuhörerin. „Ja, man muss sich schon wundern“, erwidert ihr Gegenüber.

Dann beginnt der Redemarathon. Acht Beiträge prasseln auf das Publikum ein, das mit einen bemerkenswert hohen Altersschnitt gesegnet ist. Betriebsräte, Sozialverbände, Kirchen, Schüler- und StudentenvertreterInnen stellen Positionen dar. Ihr Forderungskatalog ist breit gefächert: Das Bankgeheimnis müsse aufgehoben werden, der Steuersenkungswahn müsse enden, und es gelte, sich an die Pfründe der Pharmaindustrie zu wagen. Schimpfwort des Abends war erwartungsgemäß die Schrödersche „Agenda 2010“, dicht gefolgt von „Gesundheitsreform.“ Volkswirt Rudolf Hickel von der Uni Bremen mahnte, dass prinzipiell schon Evangelist Markus und Immanuel Kant die Frage aufgeworfen hätten: „Wollten wir das alles so haben, wenn wir heute 20 wären?“

Auch dafür gibt es keinen Applaus. Nicht einmal vom Mann in der zweiten Reihe, der einen „Sozial is‘ muss“-Button an seinen weißen Polunder gepinnt hat. Auch debattiert wird wenig an diesem Abend. Erst nach zwei Stunden gefühltem Frontalunterricht werden den eigentlich zur Diskussion geladenen Anwesenden zehn Minuten eingeräumt, ihre Sicht der Dinge zu schildern. „Was tun die Verbände, um die Leute zu erreichen?“ will eine Frau wissen. „Die Leute müssen auch bereit sein, sich zu engagieren“, erwidert Helga Ziegert, um gleich darauf zu beklagen, man habe leider keine öffentliche Stimme wie die Bild-Zeitung zur Verfügung.

Tim Cordßen vom Asta der Uni Bremen hofft, „dass am 3.April mehr Leute kommen als heute abend.“ Die Vorzeichen dafür stehen gut. Genaue Zahlen kann DGB-Koordinator Walter Weikert nicht nennen, spricht aber von „Sonderzügen und mehreren hundert Bussen“ aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen. „Die Resonanz ist riesig.“ Holger Schleper