Honig ums Ostmaul

Gejammert wird woanders – Martina Rellin aus dem Westen will den Frauen aus dem Osten ein Denkmal setzen: Der Gesprächsband „Klar bin ich eine Ostfrau“ porträtiert die wirklich Tatkräftigen

VON BARBARA BOLLWAHN

Am Ende des Buches ist eine E-Mail-Adresse angegeben. Unter ostfrau@rowohlt.de kann man Martina Rellin schreiben. Einer Westfrau, die zwischen 1994 und 2001 Chefredakteurin des Magazins war, der einzigen DDR-Zeitschrift, in der es neben Reportagen und Kurzgeschichten Aktbilder gab, die im Osten lebt und sich freut, wenn sie „ossifiziert“ genannt wird, und die das Buch „Klar bin ich eine Ost-Frau!“ verfasst hat. Gerne schreibe ich Ihnen. Von Ostfrau zu Westfrau.

„Schön, Frau Rellin, dass Sie über meine Schwestern aus dem Osten schreiben. Über ihre zwei Leben und darüber, wie sie sich dazwischen eingerichtet haben. Dazu haben Sie vierzehn Frauen befagt zwischen 23 und 55 Jahren. Ein guter Querschnitt.

Die Primaballerina Jutta, 45, die jetzt Events wie das Gartenfest beim Bundespräsidenten organisiert. Hanne, 28, Kulturmanagerin, die sich in Baden-Württemberg wie ein Exot fühlt. Die Werbefrau Greta, 34, die das Frauenbild in der Westwerbung auf die Palme bringt. Die Kindererzieherin Conny, 34, die Öko-Bäuerin wurde. Brigitte, 53, die nach über dreißig Jahren bei der Deutschen Reichsbahn jetzt Betriebsrätin mit erweitertem Kündigungsschutz bei der Deutschen Bahn ist. Karin, 43, Lehrerin, die nach der Wende im Supermarkt Regale auffüllte und jetzt Pflegemutter ist. Britta, 40, Historikerin, die im Kaufhaus des Westens arbeitete und mittlerweile Ausstellungen organisiert. Petra, 51, Kosmetikerin, die sich im gleichen Beruf selbstständig gemacht hat. Heidi, 55, Lehrerin, die als Kind nie in einer Gaststätte war und jetzt ihre eigene Gaststätte hat. Sibylle, 43, Ärztin, die plötzlich Patienten mit depressiven Verstimmungen hatte. Gaby, 53, Fotografin, die nach der Wende Prinz Charles und Helmut Newton fotografierte und mit ihrem afrikanischen Freund nach Gambia reiste. Elke, 43, Architektin, die Bauherren Häuser mit vier Bädern ausredet und sich entschuldigt, dass sie einen Mercedes fährt. Kiki, 45, Elektronik-Facharbeiter, die Verwaltungsangestellte wurde und zufriedene Bürger im Amt haben will. Caroline, 23, Studentin, die mit 18 in die PDS eintrat und feststellt, dass sie die zehn Jahre in der DDR stark prägen.

Jede der Frauen hat sicher eine interessante Geschichte. Sie erzählen von ihren Problemen und den Freiheiten nach der Wende – von Arbeitslosigkeit, physischen und psychischen Problemen, vom gebliebenen oder zeitweise verschwundenen Selbstwertgefühl, vom Urlaub in Frankreich und dem Charme der Franzosen, von langweiligen Immobilienmaklern und Bankern aus dem Westen, von Pressefreiheit und Konventionen. Und sie reden viel über Telefonsex, Seitensprünge und Liebhaber. Das wird daran liegen, dass Sie Bücher wie ,Ich habe einen Liebhaber‘ geschrieben haben. Doch leider geht es Ihnen ausschließlich darum, Ihrer grenzenlosen Bewunderung für Ostfrauen zu frönen, die Job und Kind unter einen Hut kriegen. Etwas, das Westfrauen Ihrer Meinung nach ,noch nicht verinnerlicht haben‘. Hm.

Im Vorwort Ihres Buches erfahre ich, warum Sie es geschrieben haben. Weil Sie sich ärgern über platte Aussagen wie ,Der Osten jammert und Ost-Frauen sind die Verliererinnen der Einheit.‘ Doch sie schmieren den Ostfrauen so viel Honig ums Maul, dass ihnen schlecht werden muss. ,Die wirklich Tatkräftigen in diesem Lande, die Aktiven, die neue Ideen ausprobieren, experimentierfreudig und risikobereit tun, was sie für richtig halten – das sind Frauen, und zwar meist aus dem Osten!‘ Klischees gegen Klischees.

Weil Sie die Frauen nicht unterbrechen, werden ihre Erzählungen allzu oft ausschweifend, ermüdend oder einfach platt. Wenn etwa Jutta, die nach der Wende stark abnahm, sagt: ,Das war toll von meinem Körper, dass er mir die Grenze gezeigt hat.‘ Oder Greta: ,Das, was Lenin gesagt hat, stimmt – der Neoliberalismus wird versagen.‘ Sie tun den Frauen keinen Gefallen, wenn Sie uneingeschränkt alles an ihnen toll finden und eins zu eins wiedergeben. Und: Was ist bitte schön überraschend daran, dass ostdeutsche Frauen ihren Kindern die gleichen russischen Märchenfilme zeigen, die sie in ihrer Kindheit gesehen haben? Oder daran, dass es im Osten leichter war, sich zu freuen, einfach weil es wenig gab?

Mit ,Klar bin ich eine Ost-Frau!‘ wollen Sie der Ostfrau ein Denkmal setzen. Doch es steht auf einem wackligen Fundament. Ihre Suche nach Authentizität geht so weit, dass Sie bei einem Gespräch, zu dem eine Frau ihren kleinen Sohn mitgebracht hat, jeden Pups dokumentieren. ,Paulchen, was machst du da? Das finde ich jetzt echt nicht witzig.‘ Das klingt eher nach einer überforderten Westtrulla als nach einer toughen Ostfrau.“

Martina Rellin: „Klar bin ich eine Ost-Frau!“. Rowohlt Berlin, Berlin 2004, 288 Seiten, 16,90 €