Wieder auf Kurs

Die Wahrheit nach dem außerehelichen Seitensprung: John Updikes neuer Erzählband „Wie war’s wirklich“

Jahrelang hat man sich nur noch mit Autoren der Zerrissenheit und Entfremdung herumgeschlagen und ist darüber selbst ein bisschen zerrissen und fremd in der Welt geworden. John Updike jedenfalls mit seinem ewigen Rabbit und Alterssex gab es im eigenen Leben und Lesen kaum noch, zu müde war man der chronisch ironischen Brillanz geworden, mit welcher der notorische Fast-Nobelpreisgewinner auf seine amerikanische Kleinstadt blickte.

Und jetzt also ausgerechnet noch mal einen Geschichtenband, der „Wie war’s wirklich“ heißt? Also damals, in den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als die großen Erotomanen der US-Literatur sich am Vorabend der sexuellen Revolution aufmachten, die Frauen und Leser zu erobern? Skeptisch nimmt man also dieses Buch zur Hand und freut sich dann doch umso mehr über dieses Wiedersehen mit dem Autor als altem Bekannten.

Ohne es zu wissen, hatte man ihn vermisst: Updike mit seiner wohlmeinenden Milde, seinem konservativen Optimismus und seiner menschlichen Güte. Hier schreibt jemand, der es nicht mehr nötig hat, irgendwelche Aufreger zu liefern oder sensationelle Plots zu erfinden. Updike braucht für seine zwölf Geschichten kaum einen Anlass: Sie fangen einfach irgendwo an, sich an so viele Frauen wie möglich zu erinnern, und hören wieder auf. Fast scheint Erleichterung darüber auf, dass es mit dem Sex schon ziemlich lange her ist und Updike sich jetzt in aller genüsslichen Nostalgie an jede dieser im Nachhinein immer wunderbaren Möglichkeiten der Kontaktaufnahmen erinnern kann.

Dabei weiß Updike natürlich selbst, dass „ich es mir mit meiner romantischen Sicht der Dinge zu leicht machte“, wie es in der vielleicht besten Geschichte „New-York-Girl“ einmal heißt, eine Hommage weniger auf den Seitensprung eines Handlungsreisenden mit einer Galeristin als vielmehr auf die Stadt, die das überhaupt erst ermöglicht: „Sobald man in New York ankam, war man auf einem anderen Planeten, an einer fernen Küste, alles drängte einen, ein neues Leben zu beginnen.“ Nur um dann spät nachts nach dem außerehelichen Sex in „erhitzter Derangiertheit“ mit dem Taxi durch die menschenleere, aber bekanntlich niemals schlafende Stadt zum Hotel zurückzufahren, allein, aber verwandelt, und dabei etwas „Klares, Wahres“ zu spüren, „wieder auf Kurs“ zu sein.

Zugegeben, John Updike wird es vermutlich nie mehr mit der psychologischen Schonungslosigkeit und präzisen Perfektion eines, sagen wir, Richard Ford aufnehmen. Dafür erzählt er zu sehr so, wie man sich seinen Großvater immer gewünscht hat – inklusive einer alten Lust an der chauvinistischen Provokation (es wird natürlich nie vergessen, von den Exgeliebten auch die Farbe des Schamhaars mitzuliefern). Aber dafür gelingt ihm auch immer mal wieder einer dieser kostbaren Augenblicke, in denen man sich beim Lesen in der Welt ausnahmsweise ein bisschen zu Hause fühlen darf.

ANDREAS MERKEL

John Updike: „Wie war’s wirklich. Erzählungen“. Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson, Rowohlt Verlag, Reinbek 2004, 256 Seiten, 19,90 €