Mehr Sicherheitsbeamte als Passanten

Israels Inlandsgeheimdienst spricht von einer erhöhten Bedrohung. Sicherheitsmaßnahmen für Politiker werden deutlich verschärft. Offene Kritik israelischer Medien an der Exekution Jassins. Zwei mutmaßliche palästinensische Attentäter getötet

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Will man der Armee vertrauen, die daran festhält, dass der Terror in keiner Verbindung zu den „präventiven“ Exekutionen steht, so sind die jüngsten Sicherheitsmaßnahmen auch für Politiker zumindest verwunderlich. Die Abgeordneten und Minister sind ab sofort aufgerufen, die Sicherheitsdienste über Auslandsreisen zu informieren und nicht mehr über „feindliche Länder“ zu fliegen. Der Personenschutz wurde aufgestockt und entgegen der Armee räumte der inländische Geheimdienst Schin Beth unterdessen eine „erhöhte Bedrohung“ ein.

Zwei Tage nach der Hinrichtung von Scheich Ahmed Jassin ist auch für den Normalbürger die Lage längst nicht normal. Zweimal wird ein städtischer Linienbus auf der etwa fünf Kilometer langen Strecke zum Zentrum von Jerusalem gestoppt. Schwer bewaffnete Polizisten durchsuchen die Sitzreihen, bitten einige Fahrgäste um ihre Papiere und winken den Bus weiter. Auf der Straße patrouillieren Sicherheitsdienste mit Hunden. Vor der Klagemauer und an den Haupteinkaufsstraßen übersteigt das Sicherheitspersonal zahlenmäßig die Passanten.

„Die, die im ersten Moment über den Tod von Jassin erleichtert waren, bekamen beim zweiten Gedanken Bauchschmerzen angesichts der sicheren Folgen“, beschreibt Abraham Burg, Abgeordneter der Arbeitspartei, die Stimmung. „Jeder fragt sich, wo es knallen wird, und ob die nächste Bombe ihm selbst auf den Kopf fällt.“ Die Telefonseelsorge für „Trauma-Geschädigte infolge nationaler Bedrohung“ meldet eine Verdopplung der täglichen Anrufe.

Die angekündigten Vergeltungsakte beschränken sich vorläufig auf zwei Zwischenfälle. Zwei bewaffnete Palästinenser, die einen Angriff auf eine jüdische Siedlung im Gaza-Streifen planten, wurden von Soldaten abgefangen und erschossen. Panzerbrigaden zerstörten bei einem Vorstoß in das Flüchtlingslager von Khan Younis mehrere Häuser. Gestern fassten israelische Soldaten im Westjordanland einen 14-jährigen Palästinenser mit einem Sprengstoffgürtel am Körper. An der Grenze zum Libanon waren in der Nacht mehrere Raketen abgeschossen worden. Bei dem Angriff der israelischen Luftwaffe starben zwei Hisbollah-Rebellen.

In New York verurteilte die UN-Menschenrechtskommission die Exekution Jassins als völkerrechtswidrig. Deutschland enthielt sich der Stimme, die USA stimmte gegen die von Pakistan eingebrachte Resolution.

Auch in Israel stößt die Operation auf offene Kritik selbst aus den Reihen der Sicherheitsdienste. Ami Ayalon, Ex-Chef des Schin Beth, vermutet, dass eine politische „Verwirrung“ hinter der Entscheidung zur Hinrichtung Jassins stand, die er einen „großen Fehler“ nannte. Die Medien beurteilen die Operation als wenig effektiv. Nachum Barnea von der Zeitung Jediot Achronot spricht von einer „Aktion aus dem Bauch heraus“. Niemand werde wirklich erwartet haben, dass die Hinrichtung „den Terror beendet“. Noch weiter geht die Tageszeitung Ma’ariv. „Die Raketen, die Jassin töteten, machten (dem palästinensischen Premier Ahmed Kurai alias) Abu Ala ein Ende – nicht der Hamas“, heißt es dort. Der Anschlag werde möglicherweise den „Zusammenbruch der palästinensischen Autonomiebehörden bewirken, einen neuen Volksaufstand auslösen und eine globale Welle des Terrors.“