Gewinn bringende Schulden

Finanzminister Eichel verschenkt Milliarden Euro an agrarische Großbetriebe. Er sollte stattdessen lieber das Aktionsprogramm Ökologischer Landbau mit 35 Millionen fördern

Eichels Entwurf verzerrt den Wettbewerb noch mehr zugunsten der großen Höfe

Im Bundeshaushalt fehlen Milliarden, aber das hindert Finanzminister Hans Eichel nicht, den ostdeutschen Großbauern eine üppige Subvention zu spendieren. Es geht um etwa 3 bis 4 Milliarden Euro, die an rund 1.500 Riesenbetriebe verschenkt werden sollen. Denn noch vor der Sommerpause will das Bundeskabinett über einen Gesetzentwurf entscheiden, der den sperrigen Titel „Gesetz zur Änderung der Regelungen über Altschulden landwirtschaftler Unternehmen“ trägt. Heute findet im Finanzministerium eine Anhörung von Verbänden und Experten statt. Würde dieser Entwurf tatsächlich Gesetz, würde die Wettbewerbsverzerrung zwischen kleinen und großen Höfen noch weiter festgeschrieben.

Worum geht’s? Dazu ist eine kleiner Ausflug in die ostdeutsche Agrargeschichte nötig.

Teil 1: Nach 1945 wurden unter russischer Militärverwaltung alle Güter verstaatlicht, die mehr als 100 Hektar landwirtschaftliche Nutzflächen besaßen. Diese Enteignung wurde nach der Wende 1989 nicht rückgängig gemacht. Etwa 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen im Osten wurden daher von der Treuhand übernommen, die dafür 1992 die „Bodenvertriebs- und Verwertungsgesellschaft“ (BVVG) gründete.

Teil 2: Die meisten ostdeutschen Höfe waren jedoch kleiner als 100 Hektar. Sie wurden zunächst weiter privat betrieben; erst ab 1952 wurden die Bauern zunehmend gezwungen, sich in den „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“ (LPG) zusammenzuschließen. Nach der Wende wurden diese LPGs meist von den ehemaligen „Leitungskadern“ auf den Riesenhöfen übernommen, die die anderen Genossen auszahlten. Dabei kam es zu massenhaftem Betrug durch die Neubesitzer, die meist dem SED-Dunstkreis entstammten. So geschah es vielfach, dass Kleinbauern für 10 Hektar Land und 40 Jahre Lebensleistung auf der LPG nur etwa 1.800 Mark bekamen – oder gar nichts. Lieblingstricks der Neubesitzer: Zum einen wurden die vorhandenen Werte zu niedrig angesetzt. So tauchten etwa gut erhaltene DDR-Traktoren in den Bilanzen nur mit 1.000 Mark auf, obwohl sie mindestens 10.000 Mark wert waren. Die Schulden der LPGs wurden dann dagegengerechnet. Am Ende kam oft sogar ein Minussaldo heraus. Riesige Flächen gingen an ein paar wenige, ohne dass sie viel dafür zahlen mussten. Denn sie hatten ja angeblich zum Ausgleich die Altschulden der LPGs zu bedienen.

Und um genau diese Altschulden geht es jetzt im Gesetzentwurf. Denn wie das Finanzministerium feststellen musste, wurden die Altschulden bisher kaum abgezahlt. Die Hälfte aller Betriebe zahlt überhaupt nicht. Daher will man nun die endgültige Ablösung erleichtern. Was genau damit gemeint ist, steht noch nicht fest. Allerdings ist zu befürchten, dass jenen Betrieben, die bisher nichts gezahlt haben, die Altschulden fast vollständig erlassen werden.

Die perfide Folge: Die Betriebe werden dafür belohnt, dass sie ihre Schulden nicht bezahlt haben. Sie konnten sich deshalb so leicht entziehen, weil für sie eine Besonderheit gilt, die sonst im Kreditgewerbe nicht üblich ist: Die LPG-Nachfolger müssen die Schulden nur bedienen, wenn sie „Überschüsse“ erzielten – also rechneten sich die meisten arm.

Konsequenz: Die Altschulden liegen heute etwa so hoch wie schon 1991, nämlich bei rund 2 Milliarden Euro. Dabei gab es zwischendurch sogar eine Teilentlastung von 1,4 Milliarden Mark – aber sie ist inzwischen aufgezehrt, weil ständig Zinsen auflaufen, die viele Betriebe ebenfalls nicht bezahlen.

Das Finanzministerium argumentiert nun nach dem Motto: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. Denn was nutzen Milliarden, die nicht abbezahlt werden? Da ist es doch besser, wenn wenigstens etwa 370 Millionen Euro fließen, wie der Gesetzentwurf es erwartet. Doch dürfte dies eine Fantasiebuchung sein, um Finanzminister Eichel zu motivieren, der verdeckten Megasubvention zuzustimmen. Diese Daumenpeilung erinnert fatal an die Zinsabgeltungsteuer, die zunächst auch Milliarden in die Kassen spülen sollte, bis Modellrechnungen wenig später ergaben, dass wahrscheinlich sogar mit einem Minus von 3 Milliarden Euro zu rechnen wäre.

Vor allem aber: Es ist bereits schöngerechnet, zu glauben, es ginge nur um 2 Milliarden Euro, die man den LPG-Nachfolgern schenkt. In Wahrheit sind es mehr. Oder anders ausgedrückt: Wenn man den Betrieben schon 1990 sämtliche Altschulden sofort erlassen hätte – dann stünden sie heute schlechter da. Es war nämlich durchaus gewinnträchtig, Schulden zu haben, die man nicht bedient. Dies funktionierte über drei verschiedene Hebel.

Hebel 1 wurde schon erwähnt: Man konnte die LPG-Mitgenossen prellen und zahlte sie nicht angemessen aus, weil man ja angeblich so viele Schulden zurückzahlen musste. Dieser Effekt summiert sich – inklusive Zinsen – inzwischen auf etwa 500 Millionen Euro.

Hebel 2: Während man die Schulden nicht bedient, schreibt man aber die Maschinen weiter ab, die damit einst gekauft wurden. Dies hat einen erheblich Effekt, der aber bisher nicht für alle Betriebe quantifizierbar ist.

Hebel 3, der wichtigste: Wer Altschulden hatte, kam am schnellsten an BVVG-Flächen heran. Denn, dies noch mal zu Erinnerung, nach der Wende suchten mehr als 1 Million Hektar nach einem neuen Pächter oder Besitzer – es war das Land, das die Russen verstaatlicht hatten.

Die BVVG reichte dieses Land vor allem an die Großbetriebe mit den Altschulden weiter, damit sie diese schnell zurückzahlen können. Und damit das auch wirklich klappt, wurden die verstaatlichten Flächen besonders günstig verramscht. Der Verkaufswert lag 41 Prozent niedriger als der Verkehrswert, der sowieso schon den Marktwert unterschreitet. Gesamteffekt dieser Preissubvention: 3,25 Milliarden Euro, wovon aber weniger als ein Drittel aller ostdeutschen Betriebe profitiert. Doch wurden die Flächen nicht nur verkauft, viele sind verpachtet. Und: Auch die Pachtzinsen liegen meist nur bei der Hälfte des Marktwerts. Ersparnis für die Großbetriebe: Etwa 2 Milliarden Euro während der sich abzeichnenden Pachtdauer von 18 Jahren. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht. Die BVVG weigert sich, Angaben über die Pachtstruktur zu machen.

Schon gleich nach der Wende betrogen ehemalige LPG-„Leitungskader“ massenhaft die Kleinbauern

Es ist grotesk: Einerseits verschenkt der Finanzminister Milliarden an wenige Großbetriebe – und keiner bekommt es so recht mit. Aber über die 35 Millionen Euro für das „Aktionsprogramm Ökologischer Landbau“ wird heftig gestritten.

Bevor die Altschulden faktisch gestrichen werden, muss Folgendes gewährleistet sein:

Der Wettbewerb zwischen kleinen und großen Betrieben darf nicht noch länger verzerrt werden.

Sollten die LPG-Nachfolger von den Schulden befreit werden, müssen auch die Ex-LPG-Mitglieder profitieren, die für ihr Land und ihre Lebensleistung nach der Wende zu wenig Geld erhielten. JÖRG GERKE