Im toten Winkel der Politik

Sichtbarkeit ist Sicherheit, sagt der ADFC und fordert Radstreifen und wirksame Rückspiegel für Lkws. Zwei tote Radler stellen bisherige Radwege in Frage. Stadtplaner wollen im Einzelfall entscheiden

VON WIBKE BERGEMANN

Zwei tote Radfahrer in einer Woche – der Bedarf an mehr Sicherheit im Verkehr könnte nicht deutlicher sein. Am Dienstagmorgen wurde in Charlottenburg ein Neunjähriger von einem Sattelzug überrollt, am gleichen Tag übersah ein Lkw-Fahrer in Tempelhof einen 59-jährigen Radfahrer. In beiden Fällen wurden die Radfahrer von rechts abbiegenden Lkws erfasst, in beiden Fällen fuhren sie auf einem mit einem Bordstein von der Straße abgesetzten Radweg.

„Wir haben ein Problem. Und das ist der tote Winkel“, sagt Benno Koch, ADFC-Sprecher und Fahrradbeauftragter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Eine EU-Regelung sieht schon für Oktober 2006 die Einführung eines vierten Rückspiegels für alle Lkws ab 7,5 Tonnen vor. Der Haken: Dieser zusätzliche rechte Rückspiegel wird den toten Winkel neben dem Fahrzeug nur wenig verringern: von derzeit 38 Prozent auf 19 Prozent.

Die Krümmung ist zu gering, meint Koch. Dabei zeigen die Niederlande, dass es anders geht. Dort ist der so genannte Dobli-Spiegel auch für ausländische Lkws ab 3,5 Tonnen, die durch städtisches Gebiet fahren, vorgeschrieben. Der Dobli-Spiegel verringert den toten Winkel auf nur 4 Prozent. Bis 2002 sank in Holland die Zahl der Radfahrer, die im toten Winkel eines Lkw zu Tode kamen, um 42 Prozent.

Schon seit langem in der Kritik stehen zudem die von der Straße abgesetzten Radwege, auf denen Radfahrer von Autos beim Abbiegen häufig übersehen werden. Fehler beim Abbiegen sind in Berlin die häufigste Unfallursache, sowohl für links als auch für rechts abbiegende Autos. „Das Risiko ist hoch, wenn ein Radfahrer auf einem Radweg plötzlich hinter den parkenden Autos auftaucht“, sagt Koch. Deswegen fordert der ADFC seit langem Radstreifen neben der Fahrbahn statt Radwegen. Zudem sind Radstreifen im Bau rund 10 Prozent billiger als Radwege.

Dennoch plant die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung neben Radstreifen auch weiterhin herkömmliche Radwege: „Radstreifen sind nicht immer besser als Radwege“, erklärt Heribert Guggenthaler vom Referat Straßenplanung. „Ein Radweg ist angezeigt bei hohen Fahrgeschwindigkeiten, etwa auf Ausfallstraßen, auf denen Tempo 70 erlaubt ist. Weitere Gründe sind zu schmale Fahrbahnen und Straßenbahnstrecken, wo Radfahrer in die Gleisbereiche abgedrängt werden könnten.“ Nachteilig könne es sein, wenn Ladeverkehr den Radstreifen übermäßig blockiert und die Radfahrer in den fließenden Verkehr ausweichen müssen.

Doch solche Bedingungen treffen wohl auf die wenigsten der Berliner Straßen zu. „Und wenn ich als Radfahrer einen parkenden Lieferwagen umfahre, werde ich gesehen“, sagt Koch: „Sichtbarkeit ist Sicherheit.“

Das geht so weit, dass Koch die für Radfahrer geöffneten Busspuren für die sichersten Radwege hält. Seit 1997 stehen alle Busspuren den Radfahrern offen. „Bisher ist es zu keinen schweren oder tödlichen Verletzungen gekommen, denn man wird gut gesehen“, so Koch.

So ließe sich auch der eine oder andere rabiate Bus- oder Taxifahrer tolerieren, der wenig von einem Meter Sicherheitsabstand hält. So etwas verbucht Koch unter „täglichen Ärgernissen“. Denn eigentlich sei das Verkehrsklima gar nicht so schlecht, meint der Fahrradbeauftragte des Senats.