Resistent gegen alle Trends

„Die Studenten sind irgendwie erfolgsorientierter geworden“: In den ältesten Kneipen des Uni-Viertels trauern die Wirte dem Müßiggang früherer Gästegenerationen nach. Zögerliche Tribute an den Zeitgeschmack

Von Anne Schemann

Geht man nach der gefühlten Zeit, dann gab es das „Hinkelstein“ immer schon. Als sei der Name hier Programm – heißt doch so eine Kultur aus der Jungsteinzeit. Ganz so alt ist die Uni-Ur-Kneipe an der Bundesstraße zwar nicht, aber immerhin so alt, dass sich niemand mehr an das Gründungsjahr erinnert. „68 oder 69, da streiten sich die Geister“, sagt Besitzer Jens Stegmann. Ihm gehört die Kneipe zusammen mit einem Kollegen erst seit sechs Jahren, aber auch das wirkt anders. Vielleicht, weil der Wirt so gut ins Ambiente passt, mit Rauschebart und Rattenschwanz, schwarzer Weste überm Jeanshemd und selbst gedrehter Zigarette in der Hand.

Die ersten Hinkelstein-Jahre erlebte der 44-Jährige auf der anderen Seite des Tresens. Und sah zu, wie „acht oder neun Leute“ die erste Studenten-Kneipe Hamburgs schmissen, selbst die besten Gäste waren und „praktisch nichts verdienten“. Der Rest ist ebenfalls Legende. Zum Beispiel, dass einer der Gründerväter nach Genuss eines „Zaubertranks“ wundersame Kräfte entwickelte und einen pöbelnden Gast samt Barhocker auf die Straße beförderte – wonach er nur noch „Asterix“ und das Etablissement „Hinkelstein“ hieß. Vor drei Jahren musste die Kneipe von der Verbindungsbahn wegziehen. Ansonsten blieb alles beim Alten – außer den Gästen.

„Die Studenten sind irgendwie erfolgsorientierter geworden“, grummelt Stegmann. „Gehen morgens um halb zehn an die Uni, reißen ihre Vorlesungen runter und sind um halb vier wieder zu Hause.“ Auch Peer Krüger, Urvater des „Café Backwahn“, sieht diese Entwicklung mit Unbehagen: „Dass die Studenten mal eine Stunde ausfallen lassen zum Kaffeetrinken, kommt deutlich seltener vor.“ Und Krüger muss es wissen. Hatte er doch seit Eröffnung des Cafés 1982 viel Zeit, studentische Gewohnheiten zu beobachten. Als Tribut an das neue Lebensgefühl zog der 48-Jährige vor drei Jahren sogar die Öffnungszeit vor – seitdem gibt es Frühstück ab acht. Und von Latte Macchiato bis Cappuccino die ganze Palette angesagter Heißgetränke.

Auch das „Café Libresso“ verschließt sich nicht dem Zeitgeschmack – eine Schiefertafel preist verschiedene „Wellness-Tees“ an. Ein spöttischer Zug um den Mund verrät aber, was Wirt Werner Schartel persönlich von solchen Angeboten hält. Als er jedenfalls das Antiquariats-Café 1970 übernahm, da gab es dort in erster Linie Bücher. Und wenn etwas getrunken wurde, stellt Schartel klar, dann Kaffee – daher auch der Name: ein Mix aus Libri und Espresso.

Aber die Studenten „sind heute eben anspruchsvoller“, stellt der 54-Jährige fest. Legten Wert auf „20 Teesorten“ und läsen „fast nur ihre Fachbücher“. Weshalb das Antiquariat heute nur noch ein „Spielbein“ sei, Geschäfte macht Schartel mit Mittags-Menüs und den Tees. Doch obwohl das Libresso seit zwei Jahren im modernen Flügelbau residiert, bleibt der Besitzer seiner Philosophie treu. Das Libresso „bleibt ein Kaffeehaus“, sagt er trotzig. Mit „Remmidemmi“, Diskussionen, Zeitungen und Lesungen. Wer sich nur „beim Tee entspannen“ wolle, der solle lieber woanders hingehen.

Auch Hinkelstein-Wirt Jens Stegmann ist allenfalls für winzige Veränderungen offen. Der Rotwein laufe seit Jahren ziemlich schlecht, gibt er zu: „Da könnte ich vielleicht einen neuen bestellen.“ Angst, dass das Hinkelstein ganz aus der Mode käme, hat er nicht. Schließlich wüssten es die Stammgäste gerade zu schätzen, dass der Laden jeder Mode widersteht. Hipper, eleganter, szeniger werden? „Nö“, sagt Stegmann und fasst sich schützend in den Rauschebart, „dann müsste ich mich ja auch verändern.“