Die andere Seite der Kultfirma

EBay-Mitarbeiter wollen ihre Arbeitsbedingungen verbessern und organisieren eine Umfrage im Netz. Die Geschäftsführung reagiert paranoid. Und verklagt eine Betriebsrätin wegen taz-Artikel

VON WIBKE BERGEMANN

Eine stellvertretende Betriebsratsvorsitzende erzählt der Presse, dass die Beschäftigten in ihrer Firma ein Teilzeitmodell und mehr Mitsprache bei Schichtdiensten fordern. Eigentlich reine Routine – würde die Betriebsrätin nicht bei eBay arbeiten. Das Onlineunternehmen reagierte empfindlich auf das Zitat von Gael Chardac in der taz vom 12. 11. 2003 und verklagte sie vor dem Potsdamer Arbeitsgericht, um sie aus dem Betriebsrat zu werfen. Die Drohung war wohl etwas überstürzt. Kurz vor der für gestern angesetzten Verhandlung zog die Geschäftsführung ihre Klage wieder zurück. Die Parteien wollen sich nun außergerichtlich einigen.

Der Vorfall zeigt, wie wenig übliche Arbeitnehmerrechte bei eBay zählen. Doch die Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern wächst. Vergangene Woche stellte eine Gruppe eine Umfrage ins Netz, um ein Stimmungsbild des Unternehmens zu erstellen. Es gehe darum, sich „in einem nicht überwachten Raum auszutauschen“, sagt der Sprecher der Gruppe, die aus Angst vor disziplinarischen Maßnahmen anonym bleiben will. Auf den Betriebsratsversammlungen sei es nicht möglich, seine Meinung offen kundzutun. „Durch den Betriebsrat fühlen wir uns nicht vertreten“, sagt der Sprecher. „Und wenn ich eine E-Mail durch das eBay-Intranet schicke, muss ich immer Angst haben, dass das Konsequenzen für mich haben könnte.“

Die Umfrage hat sich gelohnt: 162 Mitarbeiter haben den Fragebogen vollständig ausgefüllt, das ist mehr als ein Drittel der rund 440 eBay-Beschäftigten in Dreilinden. Die Ergebnisse machen deutlich, was die Unternehmensleitung gerne verbergen würde: 77 Prozent der Mitarbeiter fühlen sich überwacht und kontrolliert. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Activity Manager: eine Art Stechuhr-Software, die immer genau wissen will, was man zu welcher Zeit tut. Immerhin 62 Prozent der Befragten befürchten, dass die Geschäftsführung die Daten als Überwachungsinstrument missbraucht.

Kritisiert werden auch die Arbeitszeiten bei eBay. 70 Prozent wünschen sich Teilzeitmöglichkeiten, gegen die sich die Geschäftsleitung bislang sträubt. Doch den größten Widerwillen löst die autoritäre Unternehmenskultur bei eBay aus. 88 Prozent der Befragten halten ihren Einfluss auf die eigenen Arbeitsbedingungen für sehr gering.

Erstaunlich, schließlich betont eBay gerne seine demokratische Unternehmensphilosophie. Unter den 12 „values“ und „beliefs“, die jeder Mitarbeiter auf einer Plakette stets mit sich herumträgt, ist auch der Spruch: „Wir glauben, dass jeder Mitarbeiter etwas beitragen kann.“ Doch das persönliche Engagement sollte nicht zu weit gehen. eBay verdankt seinen Erfolg vor allem der Mund-zu-Mund-Propaganda. Bei vielen Benutzern hat die quietschbunte Auktionsplattform Kultstatus erlangt, die User sehen sich als eine weltweite Gemeinschaft. Entsprechend wichtig ist dem Unternehmen sein guter Ruf.

Kein Wunder, dass die Geschäftsleitung geradezu paranoid auf die Internetumfrage ihrer Mitarbeiter reagierte: Schon nach wenigen Stunden sperrte sie den Zugriff auf die Umfrageseite von allen eBay-Rechnern. Mittlerweile fängt ein interner Spam-Filter alle E-Mails ab, die die URL der Seite nennen.

Noch am gleichen Tag ging ein gemeinsames Schreiben des Betriebsratsvorsitzenden Branson Gatewood und der Geschäftsleitung an die Mitarbeiter, in dem sie sich von der Aktion distanzierten, mit einer einzigen Begründung: „Anonyme Umfragen sind grundsätzlich als sehr unsicher einzustufen, da niemand wissen kann, wo und wie die gewonnenen Informationen veröffentlicht werden“ – offensichtlich eine Freud’sche Fehlleistung: Denn die Öffentlichkeit scheut in diesem Fall wohl nur die Geschäftsleitung.