Erdogan vor größtem Triumph

Bei den Kommunalwahlen in der Türkei am Sonntag wird der AK-Partei von Regierungschef Recep Tayyip Erdogan ein haushoher Sieg vorhergesagt

ISTANBUL taz ■ Die Prognose schlug wie eine Bombe ein. In den drei größten Städten des Landes hatte das renommierteste Umfrageinstitut der Türkei knapp 2.000 Wähler nach ihrer Präferenz für die morgige Kommunalwahl gefragt. Obwohl bekannt war, dass die regierende AK-Partei bei den ersten landesweiten Wahlen seit ihrem Triumph im November 2002, als die Partei 34 Prozent bekam, mit einem nochmaligen Gewinn rechnen kann, schockten die Zahlen dann doch alle Experten. Knapp 70 Prozent in Ankara, bald 60 Prozent in Istanbul und nur in Izmir, einer Hochburg der Sozialdemokraten seit Jahrzehnten, gibt es eine Chance für deren Partei CHP, den Sessel des Bürgermeisters zu verteidigen. Mit einer solchen Deklassierung der Opposition hatten auch die größten Optimisten der AK-Partei nicht gerechnet.

Landesweit wird die AK-Partei wohl zwischen 50 und 60 Prozent aller Stimmen auf sich vereinen und in mehr als zwei Dritteln aller Städte den Bürgermeister stellen. Für Regierungschef Recep Tayyip Erdogan, der den Wahlkampf bestritt, als handele es sich um nationale Parlamentswahlen, zeichnet sich ein Triumph ab, wie er zuletzt in den 50er-Jahren einem türkischen Politiker zuteil wurde. Nach diesen Wahlen wird er sich im Zenit seiner Macht befinden.

Doch die erdrückende Überlegenheit der Partei, die ursprünglich aus dem islamischen Milieu stammt und auch heute noch 70 Prozent aller Kandidaten für den Posten eines Bürgermeister aus dem Umfeld der alten islamistischen Kader ausgesucht hat, weckt auch neue Ängste. Die Partei wird übermütig werden, fürchten viele, mit den bisherigen Rücksichten auf den laizistischen Teil der Gesellschaft könnte es bald vorbei sein.

Schon jetzt richtet sich das Interesse der Medien deshalb vor allem in Richtung Opposition. Was wird die linksnationalistische CHP unter ihrem unpopulären Parteiführer Deniz Baykal tun, um aus ihrem Tief herauszukommen? Selbst einige AKP-Funktionäre räumen schon ein, dass es doch besser wäre, eine funktionierende Opposition zu haben. Doch solange der Zustand der CHP so desolat ist, kann Tayyip Erdogan tun, was ihm beliebt. Wenn er am Sonntag mit seinem griechischen Kollegen Kostas Karamanlis in der Schweiz um eine Zypernlösung pokert, hat er jedenfalls innenpolitisch allen Spielraum, den er braucht. JÜRGEN GOTTSCHLICH