Spitzname: Nordwind

Gijs de Vries soll den EU-Antiterrorkampf koordinieren. Seine Karriere hat einen Makel: die Explosion in Enschede

BERLIN taz ■ Über den Kandidaten für das neue Amt des EU-Terrorismuskoordinators waren sich die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstagabend in Brüssel schnell einig. Gijsbert Marius de Vries bringt Erfahrung in Sicherheitsfragen und außerdem viel diplomatisches Geschick mit nach Brüssel. Und er gilt als durchsetzungsstarker Politiker. So viele Vorschusslorbeeren dürften Gijs de Vries jedoch unangenehm sein. Denn der Sozialwissenschaftler aus der alten niederländischen Universitätsstadt Leiden gilt auch als ziemlich bescheiden.

Mit dem neuen Job kehrt der 48-jährige de Vries zu seiner eigentlichen beruflichen Leidenschaft zurück: Europa. Schon 1984 wurde er ins Europaparlament gewählt, seit 1989 war er der Spitzenkandidat der Niederländischen Liberalen für die Straßburger Volksvertretung, von 1994 bis 1998 leitete er die Fraktion der Europäischen Liberalen. Ab 2002 beeindruckte der Leidener im Verfassungskonvent und spielte beim Aufbau der Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag eine entscheidende Rolle.

„De Vries ist ein europäischer Föderalist von altem Schrot und Korn, ein echter Überzeugungstäter“, sagt Jules Maaten, der von de Vries die Führung der Niederländischen Liberalen in Straßburg abnahm, als dieser 1998 vom sozialdemokratischen Ministerpräsident Wim Kok in das Haager Innenministerium gerufen wurde.

Als Staatssekretär im Innenministerium war de Vries für den Katastrophenschutz verantwortlich. Gerade hier erhielt die bis dahin makellose Laufbahn aber einige Kratzer. Im Mai 2000 explodierte in Enschede eine Lagerhalle mit Feuerwerkskörpern. 22 Menschen kamen damals ums Leben. 2001 starben in der Neujahrsnacht bei einem Brand in einer Gaststätte in Volendam 14 Jugendliche, 300 Menschen wurden verletzt. Den Sicherheitsbehörden werden Versäumnisse vorgeworfen, die auf de Vries zurückfallen, ihm aber nicht wirklich geschadet haben.

Frühere Kollegen nennen de Vries in einem Atemzug mit dem ehemaligen deutschen EU-Kommissar Martin Bangemann und dem ehemaligen französischen Staatspräsidenten und Vorsitzenden des Konvents Valéry Giscard d’Estaing. Alle drei haben die Fraktion der Liberalen im Europäischen Parlament zusammengehalten. Aber, so der frühere liberale Abgeordnete Florus Wijsenbeek: „Gijs war bei weitem der Beste.“ Auch Kollegen aus anderen Fraktionen schätzten die rhetorischen Fähigkeiten des Niederländers. „Es waren immer besondere Momente, wenn Gijs im Plenarsaal das Wort ergriff. Es herrschte dann absolute Ruhe“, sagt die Sozialistin Hedy d’Acona.

Wegen seiner Integrität wird de Vries leicht spöttisch „le vent du nord“, der „Nordwind“ genannt. So scheute er nicht davor zurück, seine Parteigenossin Jessica Larive öffentlich dafür zu verurteilen, dass sie Reisekosten zu ihren Gunsten falsch abrechnete. In Straßburg blieb der Niederländer mit den kalvinistischen Zügen abends meistens im Hotelzimmer, um ein Buch zu lesen oder zu arbeiten.

KARL DOELEKE