Wo sind die Nadelöhre?

Naturwissenschaft und Technik sind immer noch Männerdomänen. Zwar nimmt der Anteil der Studentinnen in den technischen Fächern zu, doch bis zur Promotion halten nur wenige durch

von GUDRUN FISCHER

„Ich habe das Gefühl, das Nadelöhr ist die Industrie.“ Patrizia Testa, Mikrobiologin und Frauenbeauftragte der Fakultät Prozesswissenschaften der TU Berlin, macht sich Gedanken, warum in ihrem Fachbereich keine Professorin arbeitet. Dafür gibt es aber vierzig Professoren.

Nicht, dass nicht genügend Frauen im Fachbereich studieren würden. In der Biotechnologie sind es 50 Prozent Studentinnen. In der Energie- und Verfahrenstechnik zwar nur 20, in der Umwelttechnik immerhin 40 und in der Lebensmitteltechnik sogar 60 Prozent. Doch warum schaffen es die Frauen nach einer Promotion, bei der viele noch durchhalten, nicht bis zur Professur?

„Sie ziehen beim Karrierekampf irgendwo den Kürzeren. Und Industrieerfahrung ist nun mal das A und O, schließlich bildet unsere Fakultät zu 80 Prozent für die Industrie aus.“ Für Patrizia Testa, selbst Mutter eines Jungen, ist es nicht der viel beschworene Spagat zwischen Familie und Beruf, der Frauen von Ingenieursstudiengängen abhält. Es ist die fehlende Mädchentechnikförderung. Denn da geht es schließlich los.

In ihrem Fachbereich lernen die Mädchen auf den Schülerinnentagen, was Mikrobiologie bedeutet. Pipetieren, Mikroskopieren und Verdünnungsreihen herstellen kann irgendwann zur bakteriellen Reinigung von verseuchten Böden führen. So zum Beispiel von Boden und Grundwasser, die mit leichtflüchtigen chlorierten Kohlenwasserstoffen verseucht sind. Anschaulich muss Wissenschaft für Mädchen sein.

Auch Ines Weller, 48 Jahre, ursprünglich Chemikerin und seit drei Jahren Gastprofessorin an der Uni Bremen im Bereich Produktionstechnik, sorgt sich um Mädchenförderung. „Mädchen haben an den Schulen oft keinen Technikunterricht, also ist ihnen das Berufsfeld völlig unbekannt.“

Nun finden am Fachbereich von Ines Weller Mädchentechniktage statt. Weller selbst kam in den 70er-Jahren in Heidelberg zum Chemiestudium, weil sie fasziniert war von der stofflich-materiellen Seite der Welt. Als sie anfing, waren etwa 10 Prozent der StudienanfängerInnen Frauen, und es herrschte in den Köpfen einiger Männer die Ansicht, Frauen würden Chemie studieren, um sich einen Doktor zu angeln. Zum Heiraten.

Dass Weller gleich nach dem Studium aus der Chemie ausstieg, lag daran, dass sie ihre grundsätzlichen Fragen nicht beantwortet bekam. „Es ging mir zu sehr ins Detail“, fand sie und wandte sich der Didaktik zu.

Heute sei der Frauenanteil zu Beginn des Chemiestudiums zwar auf 30 bis 40 Prozent gestiegen, aber bei der Promotion wird die Luft sehr dünn für Frauen. Nun ist Ines Weller wider in einem Bereich gelandet – in der Produktionstechnik – in dem der Studentinnenanteil nur 10 Prozent beträgt. Interessanterweise liegt der Anteil der Frauen bei den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen in ihrem Fachbereich bei 24 Prozent, da die Frauen auch aus anderen Umwelttechnikbereichen in die Produktionstechnik strömen. „Gerade wird dringend Nachwuchs gesucht, aus beiden Geschlechtern“, stellt Weller heraus. Nicht alle Professoren an ihrem Fachbereich sind begeistert von Wellers Professur zu Genderfragen (Titel der Professur: Analyse und umweltgerechte Gestaltung von Technik mit Schwerpunkt Frauen- und Geschlechterforschung). „Aber einige erkennen, dass es wichtig ist. Andere wollen tolerant sein“, sagt Ines Weller pragmatisch. Auch unter den Studierenden sind einige, die es nicht mehr zeitgemäß finden, dass der Frauenanteil so gering ist.

Von solchen männlichen Studienkollegen hätte die 46-jährige Klaudia Beran sich nicht träumen lassen. Sie hatte bisher drei Berufe im naturwissenschaftlich-technischen Bereich. Ende der 70er-Jahre studierte sie Textilingenieurswissenschaften, danach studierte sie Chemie.

Noch relativ am Anfang ihrer Karriere musste Beran eine Promotion abbrechen, da sie damit nicht genug Geld verdiente, um ihre Tochter großzuziehen. Statt Promotion stieg sie in der Textilindustrie ein. An ihrem früheren Lebensgefährten, der genauso wie sie in der Textilindustrie arbeitete, konnte sie anschaulich die Ungleichbehandlung beobachten.

Er war stellvertretender Abteilungsleiter, sie war Abteilungsleiterin. Er verdiente mehr, denn er arbeitete in der Produktion, sie war „nur“ Laborleiterin. Als sie einmal beide gleichzeitig arbeitslos waren, schickte ihm das Arbeitsamt Angebote, die in Berans Briefkasten nicht landeten. Heute ist sie nicht mehr arbeitslos, dafür aber ist sie in der IT-Branche gelandet.

Die Kenntnisse dafür eignete sie sich selbst an. Nun verdient sie weniger als damals in der Textilindustrie. Doch Beran ist zufrieden. Sie hat es besser getroffen als ihre Kommilitoninnen aus den zehn Jahren Studienzeit. „Die sind heute alle Familienfrauen“, erzählt sie achselzuckend.

„Chemie ist generell ein schweres Studium, aber es ist für Frauen noch mal härter“, fasst Klaudia Beran zusammen. „Man darf das Studium machen, man darf es lernen, aber darin arbeiten ist noch mal eine zweite Frage. Wenn man schaut, wie viele Frauen an der Hochschule bleiben können, weil sie dort einen Job kriegen, dann ist das verdammt wenig.“

Und wie sieht nun Berans 19-jährige Tochter Anja ihre Zukunft? Hat sie darüber nachgedacht, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten? „Überlegt habe ich nie wirklich, ob ich Naturwissenschaften studieren soll. Vielleicht schreckt es mich ab, was ich so gehört habe. Ich denke schon, dass das noch ein Männerberuf ist.“

Wenn Anja liest, dass Deutschland in der Chemie ein Entwicklungsland ist, dann interessiert sie das. Aber obwohl sie schon ein paar Mal mit ihrer Mutter auf dem Kongress für Frauen in Naturwissenschaft und Technik mitgefahren ist und das spannend fand, will sie lieber Buchhändlerin werden.