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Schweres Erdbeben in Algerien

Bei Erdstößen der Stärke 5,4 auf der Richterskala kommen im Norden des Landes hunderte von Menschen ums Leben, tausende werden verletzt. Die Krankenhäuser in der Region sind überfüllt. Heftige Nachbeben behindern die Rettungsarbeiten

von REINER WANDLER

„Eine furchtbare Katastrophe, eine furchtbare Katastrophe“, stammelte der Chefarzt des Krankenhauses von Boumerdés, als er den algerischen Präsidenten Abdelasis Bouteflika begrüßte. Es war zwei Uhr morgens. Sechs Stunden zuvor hatte ein schweres Erdbeben mit Epizentrum unweit der 60 Kilometer östlich von Algier gelegenen Stadt die Region erschüttert. Der Staatschef war gekommen, um sich ein Bild von der Lage zu machen.

Was ihn erwartete, waren Bilder des Grauens. Ganze Wohnblocks in Boumerdés und den umliegenden Orten waren in sich zusammengefallen. Es gab keinen Strom mehr, Handys und Telefone fielen aus. Überall strömten Menschen panisch auf den Straßen zusammen. Mit bloßen Händen fingen sie an, nach Verschütteten zu suchen. Bis zum Redaktionsschluss meldete das Innenministerium 770 Tote und über 4.960 Verletzte.

Nach Angaben des algerischen Geologischen Instituts hatte das Beben eine Stärke von 5,4 auf der nach oben offenen Richterskala. Ein Institut in Straßburg meldete gar 6,7. Selbst an der spanischen Mittelmeerküste, auf Mallorca und Sardinien waren die Erdstöße zu spüren. Das Beben hatte in einem Umkreis von 100 Kilometern Sach- und Personenschäden verursacht. In Algier wackelten die hohen Wohnblocks. Ein zehnstöckiges Gebäude im Zentrum und mehrere Häuser in den Vororten stürzten völlig in sich zusammen. Die Menschen verließen ihre Wohnungen aus Angst vor neuen Beben.

„Das ist schlimmer als vor zwei Jahren beim Hochwasser in Bab al-Oued“, erklärt ein Arzt in einem der hauptstädtischen Hospitäler. Ambulanzen, Taxen und Privat-Pkws lieferten ständig Verletzte ein. Überall in der Region sind die Krankenhäuser überfüllt. Die meisten Opfer weisen Knochenbrüche und Schädelverletzungen auf.

Das staatliche Fernsehen unterbrach kurz nach 20 Uhr die Übertragung des Uefa-Cup-Endspiels. „Bitte bewahren sie Ruhe“, hieß die eindringliche Nachricht des Sprechers. Regierungschef Ahmed Ouyahia rief sofort ein Krisenkabinett zusammen. Wenig später forderte Innenminister Yazid Zerhouni die Bevölkerung auf, in jedem Wohnblock einen Verantwortlichen zu nennen, der die Kontakte mit den Hilfskräften halten soll. Ärzte und Krankenhauspersonal sowie die Arbeiter der Wasser-, Elektrizitäts- und Gasversorgung wurden aufgerufen, sich sofort an ihrem Arbeitsplatz zu melden. Außerdem forderte Zerhouni die Bevölkerung auf, Freiwilligengruppen für die Suche von Verschütteten zusammenzustellen. Die Sucharbeiten wurden immer wieder von schweren Nachbeben behindert. Bis zu 5,1 auf der Richterskala meldeten die Wissenschaftler. Angeschlagene Gebäude drohten endgültig einzustürzen.

„Es sind noch immer viele Menschen unter den Trümmern verschüttet“, erklärte gestern Regierungschef Ahmed Ouyahia zu „der schweren Katastrophe, deren Ende noch nicht abzusehen ist“. Deshalb steht zu befürchten, dass die Zahl der Opfer nach oben korrigiert werden muss.

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