Keine Spur von kreativem Geist

„Europäische Kulturhauptstadt 2010? Nur mit uns!“, forderten am Samstag in Köln weit weniger Demonstranten als erwartet. Die grüne Landtagsvizepräsidentin Edith Müller wurde ausgebuht

VON Oliver Minck

Tausend Demonstranten hatten die Organisatoren erwartet, gerade mal 150 waren gekommen. Der Protestmarsch der Freien Kölner Kunstszene, der sich unter dem Motto „Europäische Kulturhauptstadt 2010? Nur mit uns!“ am Samstagmittag vom Ebertplatz die Ringe entlang bis zum Rudolfplatz trottete, blieb recht überschaubar.

Die freien Künstler bemängeln, dass es in dem offiziellen 11-Punkte Programm zur Bewerbung Kölns als Kulturhauptstadt keine Plattform für die freie Szene gibt. Anstelle von Kürzungen der Zuschüsse, Mieterhöhungen und Kündigung von Ateliers fordern sie eine Anerkennung der freien Szene als „Humus der Kulturstadt Köln“, so Jürgen Raap auf der abschließenden Kundgebung am Rudolfplatz.

Der Künstler und Kulturkritiker sprach von einer „Fehlleitung der Gelder“: Die Stadt mache die „Strukturen freier Szenen platt“ und ließe stattdessen Unsummen in die Entwicklung schlechter Kulturhauptstadtlogos und -claims fließen.

Der als „Korruptionsjäger“ angekündigte Journalist und taz-Autor Werner Rügemer forderte „Kultur für alle als demokratisches Recht“. Die Definition von Kultur dürfe nicht in der Hand von Brauereien und Pressemonopolisten wie Alfred Neven DuMont liegen. „Wir müssen uns eigene Medien und Kommunikationswege schaffen, uns in der Öffentlichkeit zeigen – raus aus den Ateliers und kleinen Clubs“, rief er den Demonstranten zu.

Als Sprecherin der „Gegenseite“ äußerte sich die grüne Landtagsvizepräsidentin Edith Müller: „Alle Initiativen sollen gemeinsam an einem Strang ziehen“, appellierte die Kölner Landtagsabgeordnete, die auch Mitglied des städtischen Kulturhauptstadt-Kompetenzteams ist, an die Demonstranten. Doch Müllers Aufruf zu Versöhnlichkeit und Kooperation wurde mit lautstarken Pfiffen und Buhrufen kommentiert.

Wenn Künstler auf die Straße gehen, wäre ja eigentlich eine richtig kreative Breitseite zu erwarten. Doch trotz Slogans wie „Kunst statt Köln“ war kreativer Geist bei dieser Demo nur ansatzweise zu spüren. „Alles Dress“, lautete da beispielsweise die allzu fatalistische Botschaft eines Pappenträgers. Und auch „Kultursumpf statt Ordnungsamtmief“ las sich nicht gerade wie eine Einforderung besserer Zustände.

Der Künstler „Parzival“ zeigte zumindest mit vollem körperlichem Einsatz, dass er es ernst meint mit seinem Anliegen. Auf Trittleitern, die er wie Stelzen unter seine Schuhe geschnallt hatte, bewältigte er die gesamte Demonstrationsstrecke. Mit hochrotem Kopf und heftig schwitzend, erreichte er erschöpft aber glücklich die Protestbühne am Rudolfplatz.

Dort sorgten die „Cowboys on Dope“ mit ihren „Songs von Liebe, Rausch und Wahnsinn“ für einen rockigen Abschluss der Kundgebung. Und das, obwohl die „Cowboys“ diesmal offensichtlich auf ihr „breites“ Stammpublikum verzichten mussten. Denn warum nur so wenige freie kölsche Künstler dem Protestaufruf gefolgt waren, dafür hatte Walter Stehling von der Offenen Initiative Kölner Künstler und Künstlerinnen eine einleuchtende Erklärung: „Viele Bekiffte haben es um 11 Uhr vormittags einfach nicht auf den Ebertplatz geschafft.“