nebensachen aus prag
: Knastflair auf dem Wenzelsplatz

Neulich auf dem Wenzelsplatz. Die vorbeischlendernden italienischen Touristen bemerken kaum den gesetzen älteren Herren mit weißem Vollbart, der da in einer vergitterten Bude sitzt. Ungefähr auf halber Höhe zwischen dem McDonald’s am unteren und dem am oberen Ende des Platzes. In Schwarz-Weiß gestreifter Sträflingsuniform inklusive schlagstockwinkendem Bewacher macht er sich Notizen.

Wenig Notiz nimmt er jedoch von den paar Leuten, die vor den Gitterstäben seines Behelfsknastes versuchen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Bitte, wir sind eingekerkert in einem kubanischen Gefängnis, da kann man nicht einfach Smalltalk halten.

Der Weißhaarige hinter Gittern ist Petr Pithart, im Zivilberuf Senatspräsident und von der Verfassung her der zweite Mann im tschechischen Staat. Wie weitere 74 bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Böhmen, hat sich Pithart bereit erklärt, mal auf dem Prager Wenzelsplatz kubanische Gefängnisluft zu schnuppern. Die Demonstration ist Teil der SOS-Kuba Kampagne der NGO Èlovìk v tísni (Mensch in Not). Sie will auf die 75 kubanischen Dissidenten hinweisen, die dort vor einem Jahr zu insgesamt über 1.400 Jahre Haft verurteilt wurden.

Damit hat Fidel Castro den tschechischen künstlerisch-intellektuellen Exdissidenten, Marke Charta 77, eine neue raison d’être gegeben. Die hatten seit der „Samtenen Revolution“ von 1989 an Daseinsberechtigung verloren beziehungsweise waren in einen argen inneren Interessenkonflikt geraten. Einerseits hält es der Totalitarismus-erfahrene tschechische Dissident für seine Pflicht, Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt an den Pranger zu stellen – auf dem Wenzelsplatz und anderswo. Andererseits möchte er doch darauf achten, die Interessen – sprich Investitionsmöglichkeiten – Tschechiens im Auge behalten.

Also nicht wie Expräsident Václav Havel. Der hat Zeit seines Amtes China die kalte Schulter gezeigt. Und damit, das wird ihm vorgeworfen, der tschechischen Wirtschaft in China Chancen verbaut. Kuba ist nach Jahrzehnten des US-Embargos wirtschaftlich zu schwach, um gute Investitionsmöglichkeiten zu bieten, geschweige denn zu verwehren.

Wollten die Kubaner es den Tschechen so richtig heimzahlen, sollten sie den Export von kubanischem Rum nach Tschechien stoppen und sie so dazu verdammen, den in Prag beliebten Mojito mit Bacardi oder selbst gebranntem Kartoffelrum zu mischen. Da die Globalisierung den Kubanern selbst ein solches Embargo verwehrt, bleibt ihnen nichts übrig, als Tschechien, wie zuletzt auf der Sitzung der UN-Menschenrechtskommission, als „verabscheuungswürdigen Lakaien der USA“ zu beschimpfen. Oder, wie nach einer SOS-Kuba-Demonstration vor der Prager Vertretung Kubas im Herbst 2003, einen der Organisatoren zu verprügeln. In Prag schmeckt der Mojito fast genauso gut wie in Havanna. Präsident Václav Klaus fährt übrigens demnächst nach China. ULRIKE BRAUN