Der Anbahner

„Es liegt mir am Herzen, dass die Iraker nicht mehr verscheißert werden wie in den letzten zwölf Jahren“

AUS HENNIGSDORF BARBARA BOLLWAHN

Rolfeckhard Giermann schert sich nicht um Verbote. Das war schon vor der Wende so. Von 1985 bis 1990 war er Handelsattaché für die DDR in Bagdad. Wenn ihm danach war, hat er den Botschafter der Bundesrepublik zum Radeberger Bier eingeladen. Oder den Klassenkampf auf deutsch-deutschen Skatturnieren ausgetragen, bei denen die Westdeutschen als Hauptgewinn einen Lufthansaflug spendierten. Und zu einer Zeit, als ausländische Diplomaten nicht vom Irak aus nach Kurdistan reisen durften, setzte er sich ins Auto und fuhr einfach hin.

An der Fassade seines Einfamilienhauses in Hennigsdorf im Norden von Berlin hängen zwei große Schilder. Auf dem einen steht in nüchternem Schwarz auf Weiß „Praxis Allgemeinarzt“. Sie gehört seiner Frau. Das andere Schild glänzt golden. „Tasco Export Import Firma“. Das ist Giermanns Firma. Er hat sie 1992 gegründet, um Geschäfte zwischen Deutschland und dem Irak anzubahnen.

Giermann, 59 Jahre, von kräftiger Statur und mit angegrautem Vollbart, sitzt auf der Couch im holzgetäfelten Keller seines Hauses und spricht liebevoll von „meinen arabischen Freunden“ und „meinen Irakern“. Er ist einer der wenigen Deutschen, die auf privater Basis versuchen, die deutsch-irakischen Handelsbeziehungen anzukurbeln. Zum gegenseitigen Vorteil, wie er betont. Zwei Prozent für ihn. Die richtigen Kontakte für die anderen. „Es liegt mir am Herzen, dass die Iraker nicht mehr verscheißert werden wie in den letzten zwölf Jahren“, sagt er.

Das liegt vor allem an der Politik. Die Politik Deutschlands gegenüber dem Irak findet Giermann beispielsweise schlicht „falsch“. Er hält kurz inne und korrigiert sich. „Sie ist nicht falsch, es gibt keine.“ Es werde „rumgeeiert“ und „rumgepflaumt“. Und dann schimpft er noch, dass sich die Regierung um deutsche Firmen „Null“ kümmere. Deshalb wird er so oft bei Wirtschaftsministerien oder Industrie- und Handelskammern vorstellig, bis er sie „breit gelabert“ hat.

Der ehemalige Handelsattaché redet viel. Aber Giermann ist auch einer, der macht. Wenn es sein muss unter Umgehung von Verboten. Als er 1998 zur Internationalen Messe nach Bagdad wollte und wegen des Embargos nichts einführen durfte, ist er eben als Tourist eingereist, den Wagen voll beladen mit Feuerlöschern, Werkzeug und Kristall. Sein Messestand, auf dem er mehrere deutsche Firmen vertrat, wurde mit einer Medaille ausgezeichnet.

Das erste Mal war Giermann 1978 im Irak, als Absatzdirektor eines volkseigenen Exportbetriebs. „Da habe ich noch nicht geahnt, dass mich dieses Land nicht mehr loslassen wird.“ Sieben Jahre später kam er wieder nach Bagdad, mit diplomatischem Status. Und seit seiner Rückkehr 1990 ist er immer wieder in den Irak gereist, 54 Mal insgesamt. Viermal ist er die 5.000 Kilometer mit dem Auto gefahren. Es scheint sich gelohnt zu haben. Selbstbewusst sagt er: „Ich kann mir aussuchen, mit wem ich zusammenarbeite.“

Zu DDR-Zeiten wäre Giermann gern auf die Diplomatenschule in Moskau gegangen. Doch weil seine damalige Freundin und spätere Frau einen Studienplatz in Leipzig bekam, ist er geblieben und hat stattdessen Mathematik studiert. Bereut hat er das nicht. Wäre er in die Sowjetunion gegangen, hätte er nicht Ibrahim al-Basri kennen gelernt – einer seiner wichtigsten Kontakte im Irak. Dessen Frau studierte mit Giermanns Frau Medizin. Al-Basri war mehr als ein Jahrzehnt Leibarzt von Saddam Hussein, bis er 1990 in Ungnade fiel und zwölf Jahre im Gefängnis saß. In Bagdad haben sich die Paare dann zufällig wiedergetroffen. Auf einer Weihnachtsfeier in der DDR-Vertretung. Heute öffnet al-Basri dem Deutschen Türen von Unternehmern und Scheichs, die sonst verschlossen blieben. Giermann verwendet dramatische Worte, um das Verhältnis zu beschreiben: „Es ist eine Freundschaft auf Leben und Tod. Es passt keine Kugel zwischen uns.“

Außerdem wäre Giermann auf der Diplomatenschule sicher nicht glücklich geworden. Er ist einer, der statt geschliffener Floskeln Klartext spricht. Das sei schon immer so gewesen. Für „eine bessere DDR“ habe er sich damals „den Arsch aufgerissen“, sagt er zum Beispiel, und dass er sich als Parteimitglied „mit Gott und der Welt“ angelegt habe. SED-Politbüromitglied Schabowski nennt er „ein Arschloch“, die Wende „dilettantisch“. Und die Eröffnung der Praxis seiner Frau fand nicht zufällig an einem 7. Oktober statt, dem ehemaligen Nationalfeiertag der DDR. „Man muss nicht alles auf den Mist werfen, um anzukommen“, findet Giermann. Zur Politik im wiedervereinten Deutschland will er sich aber nicht äußern. Da ist er ganz Diplomat und sagt lediglich: „Ich bin mit diesem Land seelisch nicht verwachsen.“

Vielleicht hat er sich darum ein anderes gesucht – den Irak. Viermal ist er schon wieder dort gewesen seit der Krieg offiziell für beendet erklärt worden ist. Dabei ist die Sicherheitslage nach wie vor gefährlich. Bomben- und Raketenangriffe, Anschläge auf Soldaten und Zivilpersonen sind an der Tagesordnung. Das Auswärtige Amt warnt, dass es „schwierig oder gar unmöglich“ sein könne, „in Not geratenen Deutschen zu helfen“ und rät darum dringend zu einer Auslandskrankenversicherung mit Rückholgarantie.

Giermann hat keine. Nicht, weil er die Kosten sparen will. Sondern: „Ich als Iraker empfinde das anders.“ Sicher, es gäbe „schlimme Randbedingungen“, aber er verlasse sich auf seine Erfahrungen. „Ich habe immer ein Gefühl dafür, was geht und was nicht.“

Auch wenn in seiner Nähe schon Bomben explodierten, Fenster „rausgewichst“ wurden und er „öfter mal ganz schön dichte dran war“. Angst um sein Leben hat Giermann nicht. Als er vor wenigen Wochen das letzte Mal im Irak war, wurden zwei deutsche Monteure erschossen. Er glaubt zu wissen, warum die Männer, die er natürlich kannte, sterben mussten. „Sie haben fundamentale Ratschläge nicht befolgt und sich von der Polizei beschützen lassen.“

In wenigen Wochen fliegt Giermann wieder in den Irak. Jetzt erst recht. Zumal es so aussieht, als würde sich der ganze Aufwand langsam lohnen. Im Februar hat er eine irakische Wirtschaftsdelegation nach Deutschland geholt – Geschäftsleute aus der Erdölverarbeitung, der Medizintechnik, dem Maschinenbau und der Nahrungsmittelindustrie. Geleitet wurde die Gruppe selbstverständlich von seinem alten Freund Ibrahim al-Basri. Giermann zahlte aus seiner Tasche „eine fünfstellige Summe“, musste im Außenministerium vorstellig werden und persönlich für die elf Iraker bürgen. Das bringt ihn noch immer auf die Palme. „Sieben von ihnen sind Millionäre, die könnten das Gebäude vom Auswärtigen Amt kaufen.“

Giermann fuhr mit den Irakern nach Brandenburg, Braunschweig und München und organisierte Treffen mit Vertretern von Industrie- und Handelskammern und interessierten Firmen. Wenige Wochen nachdem die Iraker weg waren, ist er wieder in den Irak geflogen. Mittlerweile sind Kooperationen geschlossen und erste Verträge unterzeichnet. Zwei Prozent für ihn und für die anderen die Kontakte.

Giermann, der mit vielen ostdeutschen Firmen zu tun hat, die früher schon in den Irak lieferten, ist überzeugt, dass die Umsätze in zwei, drei Jahren das einstige Handelsvolumen zwischen der DDR und dem Irak übertreffen werden – 500 Millionen Dollar.

Es sind solch vollmundige Ankündigungen, die Giermanns Mission bisweilen zu einem Vabanquespiel machen. Oder wenn er seinen Freund al-Basri, der sich am Machtschacher im Irak gar nicht beteiligt, als künftigen irakischen Präsident vorstellt. Dann wünschen sich offizielle Stellen mehr Zurückhaltung und Wirtschaftsverbände geben ihm schon mal einen Korb.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der sich auf offizieller Ebene um die deutsch-irakischen Wirtschaftsbeziehungen bemüht (siehe Kasten), will sich zu Giermann nicht äußern. Der sagt, er könne damit leben, und spielt den Überlegenen: „Die Iraker erleben von Ostlern nie, dass sie von oben herab behandelt werden.“ Sein Ziel ist ein „House of German Companies“ in Bagdad, eine Dauerausstellung deutscher Unternehmen.

Ohne die Initiative von Privatleuten ist der Wiederaufbau im Irak nicht möglich. Das glaubt Giermann. Das meint auch Gelan Khulusi, Chef der in Köln ansässigen deutsch-irakischen Mittelstandsvereinigung „Midan“, der 450 Unternehmern beider Länder angehören. „Wir holen die heißen Kartoffeln aus dem Feuer und zahlen die Zeche“, schimpft Khulusi, der 18 Jahre im Irak lebte. Deshalb hält der mittelständische Unternehmer nicht viel von der deutsch-irakischen Wirtschaftskonferenz, die diese Woche in Berlin stattfindet: „Die Minister aus dem Irak sind Marionetten und erst seit wenigen Monaten im Amt. Das ist eine politische Veranstaltung mit Sesselfurzern, die sich gegenseitig beweihräuchern.“ Hinfahren wird er trotzdem.

Auch Giermann wird sich die Konferenz der Konkurrenz nicht entgehen lassen. Schließlich sind Kontakte wichtig. Eines weiß er jetzt schon. „Meine Delegation war hochkarätiger.“