berliner szenen Callbikes (2)

Der Sündenfall

Jetzt ist es doch passiert. Die Versuchung war zu groß. Ich habe mich angemeldet, und schon heute, kaum fünf Tage später, darf ich mein Leihrrad besteigen. Auch ich habe schließlich ein Recht darauf, für 6 Cent/Minute am Fortschritt des Nahverkehrs teilzunehmen! Es ist acht Uhr morgens, und ich will zur Arbeit in die taz-Redaktion in der Kochstraße. Die Formalitäten sind schnell erledigt, wie man es von der Bahn gewohnt ist: Anruf beim Service-Team, Eingabe meiner persönlichen Kennzahl, mentale Speicherung des Öffnungscodes, Eintippen des Codes über das Display der Black Box, noch mal anrufen, weil der Öffnungscode nicht stimmt, Öffnungscode eingeben – los geht’s!

Abends trete ich frohgemut auf die Straße, um die Heimfahrt anzutreten. Leider ist mein silbernes Gefährt nicht mehr da. Um Kosten zu sparen, habe ich das Bike nicht einfach vorübergehend abgestellt (4 Cent/Minute, rotes Lämpchen), sondern wirklich abgestellt (0 Cent, grünes Lämpchen). Da erspähe ich schräg gegenüber ein anderes Bike. Mutter Bahn sorgt eben für ihre Kinder! Leider bin ich nicht ihr einziges Kind. Vom Springergebäude her nähert sich ein Typ im Anzug dem Rad. Als er mich sieht, zieht er das Tempo an; als ich ankomme, hat er die Hand schon triumphierend am Lenker. Aber noch ist nicht alles verloren! Ich zücke mein Handy, um als Erster den Öffnungscode zu erfahren. Der Typ im Anzug erbleicht. Was für ein Glücksgefühl, als ich die Stimme höre: „Sie haben das Fahrrad mit der Nummer 2.275 gewählt.“ Da bricht die Verbindung ab. Mein Akku ist leer. Mit provozierender Langsamkeit führt Mr. Springer sein High-Tech-Handy ans Ohr. Geschlagen wende ich mich ab. Vor mir liegt eine lange, leere Straße.

PATRICK BATARILO