: Kunst aus Krempel
Auf dem zweiten RestCycling Art-Festival lassen sich an diesem Wochenende 80 KünstlerInnen aus 15 Ländern vom Berliner Wohlstandsmüll inspirieren. Der russische Restaurator Michael Bensman braucht dafür vor allem Holztüren mit Geschichte
von ANNE RUPRECHT
Michael Bensman blickt auf die Holzlandschaft vor ihm. Rechts erhebt sich ein Fensterrahmenberg, links türmt sich Bauholz, im Hintergrund ein Stapel Balken und Palisaden. Bensman kratzt sich am Kinn. „Dieses Jahr gibt es mehr Paletten und nur wenig Türen.“ Doch genau die sucht der Architekt, Restaurator und Müll-Künstler auf dem Recyclinghof in Hohenschönhausen.
Denn der Russe braucht Material für das zweite Berliner RestCycling Art-Festival, das an diesem Wochenende in den Hallen des RAW-Tempels an der Revaler Straße stattfindet. Zwei Tage lang arbeiten hier über 40 Abfallkünstler aus 15 Ländern in einem offenen Atelier. Aus Alt wird Neu, Plastikfolien werden zu Abendkleidern, Getränkekartons zu filigranen Matten verwebt, und aus Plastikflaschen werden Möbel gebaut. Jeder Müllbastler bearbeitet ein anderes Material. Michael Bensmann eben Holz.
Vor allem alte Türen haben es ihm angetan: „Generationen sind durch sie ein und aus gegangen, haben sie geöffnet und verschlossen. Ihre Gedanken und Geschichten sind mit dem Holz verbunden.“ Dass Leute diese Türen aussortieren, kann er nicht verstehen. „Das ist nicht nur schrecklich, sondern Herzschmerz!“, sagt er und deutet mit dem Kopf auf den hinteren Teil des Hofes. Hier geht das Altholz seinem Schicksal entgegen: Auf einem Fließband zuckeln Kisten, Balken und Möbel vorbei, verschwinden im grauen Betongebäude. Auf der anderen Seite kommt das Holz wieder zum Vorschein: zu Häckselstreuseln zerschreddert.
Michael Bensman mag das nicht mit ansehen – all die Geschichten im Holz –, das trifft sein sensibles Künstlerherz. Mit seiner Kunst hofft er, den Besuchern zeigen zu können, dass auch alte Dinge einen Wert haben: „Wenn die Leute meine Arbeit am Wochenende sehen und die der anderen Künstler, werden sie vielleicht umdenken und nicht immer alles gedankenlos wegwerfen“, erklärt er.
Eine Idee, was er auf dem Festival zimmern wird, hat er schon: „Aber vielleicht läuft mir hier eine Tür über den Weg, die mich auf etwas ganz anderes bringt“, sagt er und hat auch schon die erste ins Auge gefasst. Mit wenigen Schritten erklimmt er einen Holzberg und zerrt an einer weißen Platte, die unter Baumschnitt und Holzkisten hervorragt. Als er die Tür freigelegt hat, ist es doch nicht die richtige: „Nicht alt genug“, und somit wohl wenig geschichtenträchtig.
Ein paar Meter weiter wird er schließlich fündig. An einer Mauer lehnt ein braun lackiertes Türensortiment: Toilettentür, Badezimmer-, Wohn- und Schlafzimmertür. Dahinter: die dazugehörige Wohnungstür. Mit Spion. Neben dem klebt ein kleiner Zettel, eng mit ungelenken Schnörkeln beschrieben: „Am 22. 4. 2001 um 12.50 Uhr kam Melanie L. zusammen mit ihrem Freund mit ihrem weißen Pkw vorgefahren. Melanie ist gefahren, ihr Freund saß auf dem Beifahrersitz. Ihr Freund hatte eine Babykrippe in den Armen, und darin lag ein Baby. Ich konnte es deutlich sehen. L.S.“
Bensman hat sie also tatsächlich gefunden, eine Tür mit Geschichte. Ob spannende Spionagegeschichte oder alltäglicher Nachbarschaftskrimi – darüber will Bensman sich erst später Gedanken machen. Jetzt möchte er sich an seinen Fundstücken freuen. Sauber aneinander gelehnt, haben die Türen auf der Ladefläche seines Kleinlasters Platz gefunden. Zufrieden kratzt er sich am Kinn: „Fünf Türen habe ich gerettet.“ Ein erfolgreicher Tag für Michael Bensman.
Kunst, Musik, Modeschau und Performances beim zweiten RestCycling Art-Festival im RAW-Tempel, Revaler Straße 99. Samstag ab 17 Uhr durchgehend bis Sonntag 19 Uhr. Eintritt frei
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