„Wie ‘ne abgetrennte Kohlfahrt“

Rentner protestieren gegen Sozialabbau: Rund 1.500 Menschen machten gestern in Bremen ihrem Unmut Luft. Gesittet zogen sie vom Stadion am Deich entlang in die City. Ihre ganze Wirkung aber konnten sie so erst auf dem Marktplatz entfalten

Mit Rot gleichwelcher Schattierungsind die Rentner ohnehin durch

Bremen taz ■ Im Demonstrieren sind sie noch nicht so richtig geübt. Als gestern rund 1.500 vor allem ältere Menschen gegen Sozialabbau und seine Folgen, insbesondere für Rentner, protestieren und dafür vom Weserstadion gen Innenstadt ziehen, da gehen sie erst mal brav am Weserufer entlang – und fallen so nur einigen wenigen Vormittagsspaziergängern und Hunden auf. Erst hinter der Sielwallfähre entern die Rentner den Osterdeich und erst auf dem Marktplatz entfaltet dann die Masse ihre ganze Wirkung: Der Marktplatz ist voll, die Cafés ebenfalls, und als vorne auf der Bühne ein Entertainer im Viervierteltakt „Finger weg vom Portmonee der Armen und der Schwachen“ singt, da wird hier und da tatsächlich mitgeschunkelt.

Ansonsten aber ist‘s den Rentnern Ernst: „Wir kochen vor Wut“, erklärt eine 69-Jährige aus der Nähe von Cuxhaven, als der lange Lindwurm sich am Stadion in Bewegung setzt. „Es wird Zeit, dass die Leute wach werden“, assistierte ihr Mann, 71. Mit rund 20 Euro weniger müssen beide ab kommendem Monat auskommen, wenn sie ihren Beitrag zur Pflegeversicherung nicht mehr nur zur Hälfte, sondern ganz von der Rente bezahlen müssen. Für die beiden wie für viele Teilnehmer ist die gestrige Demonstration, zu der der Sozialverband in vielen deutschen Städten aufgerufen hatte, eine Premiere im Ausüben dieses Bürgerrechts. „Jetzt reicht es! Nicht mit uns“, steht auf den Buttons, die sich fast jeder ans Revers geheftet hat. Dass die Jungen mal bedenken sollten, „was sie den Alten zu verdanken haben!“, dass eine junge Familie heutzutage „‘n Haus, ‘n Auto und zweimal im Jahr in Urlaub“ nicht wirklich brauche und lieber solidarisch sein solle, dass lieber die Politiker „mal‘n bisschen kürzer treten sollen“, dass „immer mehr Millionäre immer dicker und fetter“ würden, all das ist ebenso zu hören wie die eher abgewogenen Worte von Uwe Plachetka, 65: „Wir müssen auch an die jungen Leute denken“, erklärt der Mann aus Rastede, „wir können nicht so egoistisch denken“ – deshalb finde er den just verabschiedeten Nachhaltigkeitsfaktor auch gut. Es gehe hier auch nicht um die Menschen, die von ihrer Rente gut leben könnten. Plachetka: „Es geht um die, die kaum über die Runden kommen. Und jetzt erst recht nicht mehr.“ Und darum, dass beispielsweise die Steuerreform den Rentnern nichts nutze, dass Arbeitnehmern immerhin ein Kaufkraftausgleich zugestanden werde, Rentnern aber nicht – kurz: Den Rentnern werde derzeit „böse mitgespielt.“

Während Plachetka das erläutert, schlängelt sich der Zug am Osterdeich entlang, erst auf dem Fuß-, dann auf dem Radweg. „Wie ’ne abgetrennte Kohlfahrt, nur ohne Alkohol“, empfindet sich eine Teilnehmerin. „Ich find‘ das nicht gut, dass das hier so verpufft“, sagt ein Demonstrant im Rauschen der vorbeibrausenden Autos am Osterdeich, und: „Wenn 20 Kurden demonstrieren, stehen da 20 Polizisten und sperren alles ab!“ In der Tat wäre man lieber durchs Viertel gezogen, sagt eine Ordnerin, aber das habe die Stadt nicht zugelassen. Dasselbe sagt später Hansjürgen Klose, Vizevorsitzender des VdK Niedersachsen-Bremen. „Unerhört“ findet das Markus Beyer, Sprecher des Innenressorts, hätten die Veranstalter doch genau die Route bekommen, die sie beantragt hätten: vom Stadion am Deich entlang in die City.

Und auch sonst scheinen Anspruch und Wirklichkeit nicht immer vereinbar. Mehr junge Leute wünsche man sich in den Protestreihen, erklären viele Rentner auf ihrem Weg zum Markplatz. „Wir dürfen nicht mitmarschieren“, berichten hingegen drei Aktivistinnen der Sozialistischen Alternative im Alter von 16 und 21, „wir wurden aufgefordert, den Zug zu verlassen.“ Obwohl ihr Motto „Stoppt den Sozialkahlschlag“ dem der älteren Menschen doch gar nicht so sehr widerspricht.

Aber mit Rot gleich welcher Schattierung sind die Rentner ohnehin durch. Ja, sie habe stets SPD gewählt, sagt die 69-Jährige aus der Nähe von Cuxhaven. Jetzt nicht mehr. „Jetzt geh‘ ich nicht mehr wählen.“ Susanne Gieffers