Distanz aus Nähe

Nach dem ungeahnten Erreichen des UEFA-Pokalwettbewerbs sucht Kurt Jara kurzfristig die Nähe zu den Fans ohne künftig auf professionelle Distanz verzichten zu wollen

Würde er es tun? Als die Mannschaft mit den „Danke“-Spruchbändern in den Sprachen der Spieler schon in der Kurve mit den Fans feierte, verharrte Kurt Jara noch am Mittelkreis. Doch dann war auf einmal Co-Trainer Armin Reutershahn an seiner Seite. Gemeinsam entrollten sie das Banner auf ihrem Weg durch den Strafraum, sprangen gar über die Bande und machten die Welle mit den Treuen.

Er sei nicht „der Typ, der permanent dahinlaufen wird“, wird er später sagen, so bewegt wie erleichtert. „Aber in solchen Momenten gehört das einfach dazu.“ Der Chef-Trainer hat auch ganz andere Momente in seiner ersten vollen Spielzeit beim HSV erlebt, in einer Saison, „wie ich sie noch nicht erlebt habe“.

Damals im Herbst, als mit den letzten Blättern auch schon seine letzten Tage an der Elbe gekommen schienen, und sie ihn auf dem Weg zum Training mit Transparenten heimschicken wollten, als der Verein wieder auf unteren Tabellenplätzen herumdümpelte. Das Wort Genugtuung gefällt ihm nicht, aber sie ist spürbar, wenn er an seine Zeit in Österreich erinnert, wo „sie mich in Wien auch nicht für voll genommen haben – und dann sind wir zweimal mit Tirol Meister geworden.“ Vielleicht habe er auch nur „Glück gehabt, dass der Vorstand gewechselt hat.“

Wenn, war es nur das Glück des Tüchtigen, der ohne Rücksicht auf persönliche Eitelkeiten und hohe Transfersummen „ein bisschen Zeit gebraucht hat“ (Jara), um eine funktionierende Mannschaft zu bauen. Die Distanz in der Leidenschaft, die ihn von einem Romantiker wie Klaus Toppmöller unterscheidet, feit ihn auch vor dessen Fehler, zu lange an kritischem Personal festzuhalten. Jörg Albertz sortierte Jara ebenso konsequent aus wie die Lokalpersonalie Christian Rahn, der teure Cristian Ledesma fand sich zeitweilig auf der Tribüne wieder.

Jaras Vision von Fußball ist pragmatisch bis zur Schmerzgrenze. Und es ist kein Zufall, dass in Marcel Maltritz, der, so Jara, „genauso zurückgekommen ist wie ich,“ und dem gerade verletzten Collin Benjamin zwei Fachkräfte fürs defensive Mittelfeld zu den Gewinnern der Saison zählen. Andererseits hat Jara seine Hand stets auch schützend über Individualisten wie Sergej Barbarez und Rodolfo Cardoso gehalten, die auf dem Platz trotz Durststrecken immer für den feinen Unterschied gut sind. Ein Mehdi Mahdavikia blühte als bester Vorbereiter der Liga wieder auf. Und Naohiro Takahara wurde von Jara in schwierigem Hype-Umfeld behutsam an die Bundesliga herangeführt.

Seinen Erfolg, ja kleinen Triumpf wird Kurt Jara nun seinem Naturell entsprechend „im Stillen genießen“, wohl wissend, dass die nächste Bewährungsprobe in seiner ersten europäischen Saison schon vor der Tür steht. Aber daheim in Innsbruck, da wird‘s dann schon „ein bisschen rund gehen. Da sieht mich ja keiner.“ Vor allem keine HSV-Fans. JÖRG FEYER