das wort zum Montag
: Pusdorf-Woltmershausener-(Nicht-Neustädter)-WG goes 80er

Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in Bremens Mix aus Nordischem und Klein-Berlin. Zurzeit Hausautor am Bremer Theater, holt er für die taz Perlen aus dem hanseatischen Schlick.

Anfang dachte ich ja, dass meine WG in der Neustadt liegt. Einem hässlicheren Zipfel zwar, doch dann sagte man mir, das sei Pusdorf. Dann hieß es, nein, das sei Woltmershausen. Dann wieder, nein, das sei Pusdorf.

Als Neuberliner bin ich komplizierte Bezirksbezeichnungen und -bezeichnungskombinationen gewohnt und weiß, dass man gleichzeitig in Friedenau und in Schöneberg wohnen kann. Also vermute ich jetzt, dass ich sowohl in Pusdorf als auch in Woltmershausen wohne. Aber sicher bin ich mir nicht.

Bei meiner letzten Nachtsession in jener Pusdorf-Woltmershausener-(Nicht-Neustädter)-WG war Nostalgie angesagt. Die Küche, wie in beinahe allen WGs das eigentliche Wohnzimmer, war erfüllt von kommunikativem Teegeruch, vor allem jedoch von den Klängen dreier von mir mitgebrachter CDs mit den Fernsehmelodien der Siebziger und vor allem der Achtziger Jahre, die gnadenlos hintereinander durchgezogen wurden. Das naheliegende Ratespiel stellte sich ein, und nach wenigen Tönen schrien eine oder mehrere Stimmen verzückt: „Die Märchenbraut!“ Oder „Patrick Packard!“ Oder “Das letzte Einhorn!“. Natürlich mit dem angebrachten fast heiligen Erschauern, aber auch im Siegergefühl, schneller gewesen zu sein als die anderen.

Fast erinnerte mich das an den meinen Eltern von mir allabendlich aufgezwungenen Werbe-Erkennungs-Kontest, bei dem sie als Zweierteam gegen mich antreten durften beziehungsweise mussten und natürlich trotzdem keine Chance hatten gegen den markenbewussten Grundschüler, der zu den damals gepaukten Produkten natürlich noch heute ein treues und affektives Verhältnis hat.

Neben gegenseitigem Dozieren über die Vor- und Nachteile dieser oder jener Weihnachtsserie, die immer sechsteilig waren und auf die man sich schon im voraus freute, sowie Streitereien über die Namen von Nebenfiguren (hieß die Klavierlehrerin in „Die Märchenbraut“ nun Frau Müller oder Frau Meyer?), kam es auch zu unfreiwilligen Outings. So sagte etwa I. bei Ronja Räubertochter habe sie zum ersten Mal einen Penis gesehen, und wurde folgerichtig den Rest des Abends damit aufgezogen.

S. meinte, sie habe sich schon als Kind über Fuchurs dauerbreite Mimik aufgeregt, und kurz gleitet unser Gespräch zum Thema Drogen ab. Doch dann der dreistimmige Aufschrei: „ALF!“ Und ich kann zum Besten geben, dass ich damals extrem stolz war auf die Lübecker Alfstraße, deren wahre Etymologie mir bis heute unbekannt ist, und zutiefst gekränkt reagierte, als jemand anders als ich ein Photo des Straßenschildes an die Redaktion der Hörzu geschickt hatte. Kristo Šagor