Kumpel der Kumpel

Clement verkörpert die alte Industrieobsession der SPD: Hauptsache, der Schornstein rauchtEr ist einer, „der den lieben Gott bittet: Gib mir Geduld, aber dalli!“, sagt seine Frau Karin

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

„Wer soll den Schiedsrichter zwischen Ihnen und Jürgen Trittin spielen?“, hatte ihn ein Journalist vergangene Woche gefragt. „Da haben wir schon einen“, antwortete Wolfgang Clement lächelnd mit Blick zur Decke. „Der thront da ganz oben.“ Nun hat er sich Montagnacht im Streit um den Emissionshandel im Kanzleramt doch ganz irdischen Richtern stellen müssen. Nicht nur Gerhard Schröder, sondern auch dem Vizekanzler Joschka Fischer. Die Kommentatoren hatten ihn, den „Superminister“, schon abgeschrieben. Und dann hat er in der fünfstündigen Nachtsitzung einen klaren Punktsieg errungen.

Seit zwei Monaten liefert sich Clement einen Machtkampf mit Umweltminister Trittin. Dabei stellte er nicht nur den Emissionshandel, sondern auch Ökosteuer und Windkraftförderung in Frage – und drohte indirekt sogar mit Rücktritt: „Ich werde nichts mittragen, was wirtschaftlichen Rückschritt bedeutet“, sagte er kühn. „Damit das ganz klar ist, dafür werde ich nicht die Verantwortung übernehmen.“

Trittin musste ihm nun entgegenkommen. Doch auch der Kanzler war genervt von Clements Ausfällen. Warum nur führt der Clement sich so auf, fragten sich Freund wie Feind. Weil er gekränkt ist von Münteferings Beförderung zum Parteichef? Weil er den Trittin nicht mag? Weil er testen wollte, wie viel Schröder noch an ihm liegt?

Die Antwort ist simpler: Weil Clement nicht anders kann.

Clement ist ein Mann, der ernsthaft glaubt, alle Probleme wegarbeiten zu können, wenn man ihn nur ließe. Vollbeschäftigung bis 2010, „das ist das Ziel“, erklärte er kurz nach Antritt. „Und das ist auch erreichbar.“ Eine selten naive Aussage für einen Wirtschaftsminister, doch Clement kann nicht kleiner. „Für eine Aufgabe, die ich übernehme“, sagt der Sozialdemokrat über sich, „da bringe ich alles ein, was ich habe.“ Seine Frau Karin nennt ihn liebevoll einen „kontrollierten Choleriker“.

So stellt man sich einen „Superminister“ vor: ungeduldig, voller Tatendrang. So ein Energiebündel brauchte die Bundesregierung vor 18 Monaten, wirkte sie doch schon bei Amtsantritt müde und verbraucht. Die Medien lieben sein machohaftes Auftreten, den rauen Charme. Er mag kein großer Stratege sein, aber als einstiger Chefredakteur der Hamburger Morgenpost weiß er instinktiv, wie er sich verhalten muss.

Mit einem Alarmismus, der sonst Umweltschützern vorgehalten wird, beschwört er die Bedrohung des Standorts Deutschland: „Wir stehen unter dem massivsten Anpassungsdruck in der Geschichte der Bundesrepublik.“ Doch Jobs für alle seien möglich, wenn wir nur den Kündigungsschutz schleifen, Bürokratie abbauen, länger arbeiten und allesamt Ich-AGs gründen. „Die Wirtschaft muss entfesselt werden.“

Dabei nimmt Clement eine geradezu überparteiliche Attitüde an, wenn er Sätze sagt wie: „Ich trete für die Wahrung industriepolitischer Vernunft ein.“ Das macht ihn stabil zum zweitbeliebtesten Politiker der Regierung – nach Fischer und weit vor Schröder. Und entlockt Angela Merkel scheinheilige Sympathiebekundungen. Ganz anders seine Parteifreunde. „Wie ein Rammbock geht er die Themen an“, klagte etwa SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler. Er schieße „unglaublich oft aus der Hüfte“, urteilt sein Fraktionskollege Hermann Scheer. „Im Grunde ist er ein Sponti.“

So einen Derwisch hatte die Regierung bitter nötig. Clement hielt die Reformdebatte aufrecht, legte Monat für Monat neue Initiativen auf. Und galt schnell als Kronprinz Schröders. Wenn Clement auf Terminen hinterm Kanzler lief, witzelte der gern: „Da kommt mein Nachfolger.“

Umso demütigender muss es für Clement gewesen sein, wie Schröder dann den Parteivorsitz an Müntefering übergab. Erst morgens kurz vor der Pressekonferenz wurden die stellvertretenden Parteichefs zum Gespräch geladen. Clement überraschte der Anruf beim Joggen. Dabei hatte er erst am Abend zuvor mit Schröder ausgiebig gespeist und den Reformkurs besprochen. „Wir werden hier vor vollendete Tatsachen gestellt“, soll Clement in der Runde geschimpft haben, „dann brauche ich nicht stellvertretender Parteichef zu sein.“

Einen Tag ließ Clement die Frage offen, ob er Stellvertreter bleibt. Ein Fehler. Von nun an stand jeder seiner Schritte unter einer Frage: Wie lange macht er’s noch?

So eine Situation sollte man aussitzen. Nicht so Clement, der von sich behauptet, „ohne Netz und doppelten Boden“ und mit „meinem Temperament“ vorzugehen. Sein Temperament ging mit ihm durch: Gegen den Emissionshandel machte er noch mal richtig Druck, ließ einen vom Kanzleramtschef ausgehandelten Kompromiss in letzter Minute scheitern und forderte lautstark Schröders Unterstützung. Clement wagte und hatte Erfolg.

Wie er Trittin anging, das erinnert die Grünen schmerzlich an die Zeit in Nordrhein-Westfalen, als er den Umweltschutz in Person seiner grünen Umweltministerin Bärbel Höhn regelrecht bekämpfte. In den Konflikten um den Braunkohletagebau Garzweiler, um Flughafenausbau und Transrapid brachte er die Koalition immer wieder an den Rand des Scheiterns. Stets profilierte er sich auf Kosten der Koalition – was zu deutlichen Wahlverlusten führte. Ganz anders als Schröder und Fischer, die ihre Wiederwahl der Teamarbeit verdanken.

So unflexibel, wie Clement sich zeigt, könnte er sehr schnell selbst zum Problem werden. Es nutzt der Koalition eben nichts, wenn sie einen Wirtschaftsminister hat, von dem Merkel sagt, er sei in Fragen des Emissionshandels der Letzte in der Regierung, „der den Verstand noch nicht verloren hat“. Während Clement immer beliebter wurde, wurde die SPD immer unbeliebter. Die Wähler mögen den Reformer, die Reformen mögen sie deshalb noch lange nicht.

Statt daraus zu lernen, zerredet der „Superminister“ nun die wenigen rot-grünen Erfolge. Als habe er noch immer nicht begriffen: Die Ernennung Münteferings stoppte nicht nur seine Ambitionen, sie stoppte auch seine Methode. Über ein Jahr hat die SPD nach Clements Manier reformiert: ungestüm, spontan und ohne Einfühlungsvermögen. Das soll sich mit dem neuen Gespann Schröder und Müntefering ändern: Besonnener, wärmer will man vorgehen – die Politik besser verkaufen.

In dem Maße, wie Clements Rolle als Antreiber weniger gefragt ist, wird man mehr auf sein Handwerk schauen. Noch hat er Kredit in der Fraktion. Sie steht hinter ihm, trotz oft scharfer Kritik in der Sache. „Er ist der erste Wirtschaftsminister seit Karl Schiller, der dem Wirtschaftsministerium wieder ein sozialdemokratisches Gesicht gegeben hat“, urteilt der Vorsitzende des Wirtschafts- und Arbeitsausschusses des Bundestages Rainer Wend.

Anders als Schiller aber, der ein Gefühl für die Ordnungsaufgaben eines Wirtschaftsministers hatte, ist Clement reiner Industriepolitiker. Und Industrie, das ist für ihn der Stahl und die Kohle – und vor allem die wollte vor dem Emissionshandel schützen. „Von jeder Niedergangsmeldung, die aus einer Vorstandsetage kommt, ist er tief beeindruckt“, berichten Sozialdemokraten. Gern erzählt Clement von seiner Schulzeit im Bochumer Kohlenstaub, in Zeiten, als in den Straßen „der Qualm hing und der Himmel nachts noch blutrot war vom Feuer in den Stahlwerken“. Ein Strukturwandel wie im Ruhrgebiet stehe nun dem ganzen Land bevor. Dass dazu auch Willy Brandts Vision vom „blauen Himmel über der Ruhr“ gehört, die den modernen Umweltschutz in diesem Land einleitete, gehört nicht zu Clements Repertoire – obwohl seine SPD-Karriere 1981 als Vorstandssprecher unter Brandt begann.

Seiner Reformrhetorik zum Trotz verkörpert Clement eher die alte Industrieobsession der Sozialdemokratie: Hauptsache, der Schornstein raucht. Schon in NRW setzte er auf subventionierte Großprojekte wie den Transrapid, von dem ein Modell auf seinem Schreibtisch steht. Auch sein Traum vom großen Medienstandort zerplatzte trotz üppiger Subventionen. Die staatlichen Zahlungen für die Kohle verlängerte er erst im November gemeinsam mit dem Kanzler aufs Neue – gegen den Widerstand von Grünen und EU-Kommission. Und auch mit dem Sparen nimmt er es nicht so genau. Schröder musste bereits ein Machtwort sprechen, als Clement erklärte, man könne auch mit einer höheren Neuverschuldung leben.

Auch privat ist an Clement, der als Jurastudent nichts mit den Achtundsechzigern anfangen konnte, so gar nichts Postmodernes. Clement kann nicht kochen, kauft nicht ein, kennt nicht einmal den Kontostand. „Meine Frau kauft alles und kleidet mich ein, von Kopf bis zu den Haarspitzen.“ Mit der Erziehung seiner fünf Töchter hatte er kaum etwas zu tun. Seine Frau hält ihm den Rücken frei und kleidet seine Ungeduld in hübsche Bilder: Er sei einer, „der den lieben Gott bittet: Gib mir Geduld, aber dalli!“

Wie gut für den „Superminister“, dass er ungehindert an die Arbeit gehen konnte. Den Job des widerspenstigen Arbeitsministers hatte er schließlich als Erstes eingespart. Trotzdem ist seine Bilanz in Sachen Arbeitsmarktreformen eher durchwachsen. Er hat den Ladenschluss am Samstag auf 20 Uhr verschoben, die Zeitarbeitsregelungen flexibilisiert. Doch die Reform der Handwerksordnung wurde von der Union zur Mini-Novelle eingedampft. Die Ich-AGs müssen sich erst noch bewähren. Und den Kündigungsschutz vermochte selbst Clement nicht aufzubrechen, die Fraktion war dagegen. Bei der Ausbildungsplatzabgabe ist er ebenfalls an Müntefering gescheitert. Und der Umbau des Bundesanstalt für Arbeit erlitt mit der Entlassung Florian Gersters einen herben Rückschlag.

Sein größtes Reformprojekt, Hartz IV, die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, droht derzeit an der Frage zu scheitern, wer künftig die Verwaltung der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger übernehmen soll. Zum geplanten Start 2005 droht ein ähnliches Chaos wie bei der Maut.

Zudem kann auch Clement die Marktgesetze nicht außer Kraft setzen. Für mehr Jobs braucht er vor allem mehr Wachstum. Neue Jobs entstehen erst ab etwa 2 Prozent. Das Wachstum kann auch Clement nur marginal und auf lange Sicht beeinflussen: Die Ökonomie hat schon die Gebete von Hans Eichel nicht erhört. Sie wird auch Clements Wünsche ignorieren. Doch allein daran wird Clement am Ende gemessen werden: wie viele Jobs er geschaffen hat.

So könnt sich schon bald zeigen: Auch ein Superminister ist sterblich.